Entscheidungsstichwort (Thema)

Finanzgerichtsordnung: Vorläufiger Rechtsschutz ohne Anhörung des Antragsgegners

 

Leitsatz (amtlich)

Eine einstweilige Anordnung kann auch ex parte, das heißt ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners, ergehen, wenn vorläufiger Rechtsschutz auch bei fernmündlicher Anhörung nicht mehr gewährleistet wäre.

 

Normenkette

FGO §§ 114, 69; VwGO § 80 Abs. 5, § 123; ZPO §§ 922, 937 Abs. 2

 

Gründe

Der als Antrag auf einstweilige Anordnung zu verstehende Antrag ist gemäß § 114 FGO statthaft; und zwar auch soweit eine (sogenannte ex parte) Entscheidung ohne (gemeint: vorherige) Anhörung des Antragsgegners, das heißt des Finanzamts (FA), beantragt wird.

1. Der Grundsatz der (vorherigen) Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) kann ausnahmsweise eine Einschränkung erfahren (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 114 FGO Rz. 81); und zwar bei besonderer Eilbedürftigkeit (Gosch in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 114 FGO Rz. 99) aus der Natur der Sache (vgl. Stapperfeind in Gräber, FGO, 8. Aufl., § 114 Rz 76; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 114 FGO Rz. 112).

Anders als im Arrestverfahren, in dem es häufig auf einen Überraschungseffekt ankommt, besteht in Abgabenstreitigkeiten in der Regel kein Grund, ohne Behördenakten und ohne Stellungnahme des Antragsgegners zu entscheiden. Nur in extremen Ausnahmefällen, in denen der vorläufige Rechtsschutz auch bei fernmündlicher Anhörung des Antragsgegners nicht mehr gewährleistet wäre, ist ein Absehen von der vorherigen Anhörung denkbar (Haarmann in Ziemer/Haarmann/Loose/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen Rz. 4699/2 m. w. N.) und ist das Gericht gehalten, dem betroffenen Antragsgegner nach Erlass der einstweiligen Anordnung rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.03.1965, BVerfGE 18, 399); nötigenfalls im Wege der Anhörungsrüge (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.09.2010 1 BvR 2157/10, FamRZ 2010, 1970; Juris).

2. Im Streitfall ist weder für die einstweilige Anordnung noch für deren Erlass ohne vorherige Anhörung des FA eine hinreichende Eilbedürftigkeit und Beschwer dargelegt und glaubhaft gemacht (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO).

Insbesondere ist aus dem Antrag nicht ohne weiteres konkret ersichtlich,

a) wann welche wie bezeichneten Originalordner bei welchem Anlass zu welchem Zweck oder Verfahren beim FA auf welchem Wege bzw. durch wen an welcher Stelle oder an welche Person eingereicht worden sein sollen;

b) welche Schritte die Antragsteller bisher zwecks Auffindung oder Herausgabe der Ordner oder zwecks Einsichtnahme oder Herstellung von Kopien beim FA mit welchem Ergebnis wann zuletzt unternommen haben und warum es bisher nicht zu der in der Antragsbegründung angesprochenen Akteneinsicht gekommen ist.

3. Weiterhin sind keine Anhaltspunkte dafür dargetan, sonst ersichtlich oder vorstellbar, dass ein Mitarbeiter des FA in den Ordnern der Antragsteller enthaltene Belege "beiseite geschafft" habe oder "beseitigen" werde.

4. Im Übrigen hat eine heutige telefonische Rückfrage bei dem zuständigen Rechtsbehelfs-Sachgebietsleiter V des FA nach dessen vorläufiger amtsinterner Erkundigung und hiesigem Rückruf ergeben, dass Ordner vorhanden sein dürften und nach genauerer Feststellung nur noch die Frage der Herstellung von Kopien oder der Herausgabe zeitlich abzustimmen sei.

5. Die Entscheidungen über die Kosten und die Nichtzulassung der Beschwerde folgen aus § 135 Abs. 1, § 128 Abs. 3 FGO.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI10332533

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