Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewährung von Kindergeld zu Gunsten iranischer Staatsangehöriger; Berücksichtigung der Eigenschaft als Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Ein Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention hat nach Art. 2 des Vorläufigen Europäischen Abkommens über Soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zu Gunsten der Hinterbliebenen vom 11.12.1953 (BGBl II 1956, 507) i. V. m. Art. 2 des Zusatzprotokolls einen Kindergeldanspruch nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
  2. Dieser Anspruch besteht auch rückwirkend für Zeiträume, die vor dem Zeitpunkt der unanfechtbaren Anerkennung liegen, sofern der Flüchtling seit mindestens sechs Monaten im Inland wohnt.
  3. Der Besitz eines spezifischen Aufenthaltstitels kann nicht als Anspruchsvoraussetzung verlangt werden.
 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 1; DAFamEStG 62.4.2 Abs. 1 S. 2; DAFamEStG 62.4.3 Abs. 1 S. 3

 

Streitjahr(e)

2006, 2007, 2008

 

Tatbestand

Der Kläger besitzt die iranische Staatsangehörigkeit. Nach dem Inhalt der vom Gericht beigezogenen Ausländerakte reiste der Kläger im Jahr 1999 in die Bundesrepublik ein und stellte am 31.05.1999 einen Asylantrag. Dieser wurde zunächst rechtskräftig abgelehnt und auch spätere Asylanträge des Klägers hatten keinen Erfolg. Im Rahmen dieser Verfahren wurden dem Kläger fortlaufend Duldungen erteilt. Auf Grund eines weiteren Antrages von September 2006 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schließlich im Bescheid vom 06.08.2008 fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) hinsichtlich der islamischen Republik Iran vorliegen. Dem Kläger sei Flüchtlingsschutz zuzuerkennen, weil davon auszugehen sei, dass im Falle einer Rückkehr in die islamische Republik Iran der Kläger zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Vollstreckungsmaßnahmen im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt sein werde.

Am 24.01.2008 beantragte der Kläger die Festsetzung von Kindergeld für seine Kinder Masoud (geb. am 18.08.1999) und Hossein (geb. am 25.04.2003) und legte zugleich eine Haushaltsbescheinigung vor, wonach er und die Kinder in Duisburg gemeldet sind. Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers im Bescheid vom 26.05.2008 mit der Begründung ab, dass der Kläger nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels sei, der einen Anspruch auf Gewährung von Kindergeld begründe.

Gegen den Bescheid legte der Kläger am 18.06.2008 Einspruch ein, woraufhin die Beklagte den Bescheid vom 26.05.2008 im Bescheid vom 29.08.2008 aufhob. Mit weiterem Bescheid vom 29.08.2008 setzte die Beklagte Kindergeld für die beiden Kinder des Klägers ab August 2008 fest. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger ab August 2008 anerkannter Flüchtling sei und somit die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen für die Bezug von Kindergeld erfülle.

Gegen den Bescheid legte der Kläger am 09.09.2008 Einspruch ein und beantragte, Kindergeld auch für die Zeit von September 2006 bis Juli 2008 festzusetzen. Zur Begründung führte er aus, dass die Flüchtlingsanerkennung im August 2008 auf einem entsprechenden Asylfolgeantrag beruhe, der bereits im September 2006 gestellt worden sei. Es habe nicht in seiner Hand gelegen, wann das Bundesamt die Flüchtlingsanerkennung aussprechen werde. Bei früherer Entscheidung des Bundesamtes hätte vorher ein Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG bestanden.

Die Beklagte wies den Einspruch in der Einspruchsentscheidung vom 15.09.2008 als unbegründet zurück.

Dagegen hat der Kläger am 13.10.2008 Klage erhoben und trägt zur Begründung ergänzend vor: Die Flüchtlingseigenschaft habe unabhängig vom Entscheidungsdatum des Bundesamtes seit der Antragstellung im September 2006 vorgelegen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, ihm unter Änderung des Bescheides vom 29.08.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.09.2008 Kindergeld für die Kinder Masoud und Hossein in der Zeit von September 2006 bis Juli 2008 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus. Die Kindergeldberechtigung nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer knüpfe gemäß § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an den Aufenthaltstitel an, den der Betroffene „besitzt”, d. h. tatsächlich in den Händen halte. Ein bloßer Anspruch auf Erteilung einer anderen Art der Aufenthaltsgenehmigung begründe demgegenüber noch keinen Kindergeldanspruch. Der Gesetzeswortlaut sei eindeutig. Der Zubilligung des Aufenthaltstitels durch Verwaltungsakt komme Tatbestandswirkung für den Kindergeldanspruch zu.

Ein anderes Ergebnis lasse sich auch nicht aus der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs (DA-FamEStG) 62.4.2 Abs. 1 Satz 2 ableiten. Die genannte Regelung sei dahin auszulegen, dass nur anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte einen Anspruch haben, sofern sie seit mindestens sechs Monaten im Vertrags...

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