Die – eigentlich entscheidende – Vorarbeit ist aber auf der persönlich-individuellen Seite zu leisten:

Welche beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten hat der konkrete Unterhaltspflichtige des zu entscheidenden Einzelfalles?
Welche konkreten Einschränkungen stehen seiner vollschichtigen Tätigkeit entgegen?
Welche Art der Tätigkeit kann man daher von ihm tatsächlich verlangen?

Nur daraus lässt sich ableiten, welches fiktive Einkommen ihm konkret als erzielbar unterhaltsrechtlich angerechnet werden kann. Maßgebliche Kriterien sind das Alter des Erwerbspflichtigen, seine berufliche Qualifikation und sein beruflicher Werdegang (Erwerbsbiographie) sowie sein Gesundheitszustand auf der einen und das Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen auf der anderen Seite.

Das BVerfG verlangt hier konkrete Sachverhaltsfeststellungen des Gerichts. So heißt es in der Entscheidung 1 BvR 1530/11:[14]

Zitat

cc) Doch haben die Gerichte keine Feststellung dazu getroffen, auf welcher Grundlage sie zu der Auffassung gelangt sind, dass der Beschwerdeführer bei Einsatz seiner vollen Arbeitskraft und bei Aufnahme einer seinen persönlichen Voraussetzungen entsprechenden Arbeit objektiv in der Lage wäre, ein Einkommen in der zur Leistung des titulierten Unterhalts erforderlichen Höhe zu erzielen. Es erscheint zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer bei entsprechenden Bemühungen eine Anstellung in seinem Beruf oder in einer anderen Position finden und mit dem damit erzielbaren Einkommen das zur Zahlung des titulierten Kindesunterhalts erforderliche Einkommen erwirtschaften könnte. Doch haben die Gerichte nicht tragfähig begründet, auf welcher Grundlage sie zu dieser Annahme gelangt sind.

Es hätte insoweit einer konkreten Prüfung bedurft, ob der Beschwerdeführer in Anbetracht seiner Ausbildung und seines beruflichen Werdegangs sowie im Hinblick auf sein Alter und seine krankheitsbedingten Einschränkungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten am Arbeitsmarkt in der Lage ist, ein Einkommen in dieser Höhe zu erzielen. Ohne konkrete Prüfung des unter Berücksichtigung dieser Faktoren für den Beschwerdeführer konkret erzielbaren Einkommens hätten die Ausgangsgerichte nicht allein von den fehlenden Bemühungen des Beschwerdeführers um eine Erwerbstätigkeit auf seine volle Leistungsfähigkeit in Höhe des titulierten Kindesunterhalts schließen dürfen. Mit der Zurechnung fiktiver Einkünfte in dieser Höhe haben sie den ihnen eingeräumten Entscheidungsspielraum überschritten.

Die Entscheidung 1 BvR 2867/11[15] führt aus:

Zitat

Doch haben sie keine Feststellung dazu getroffen, auf welcher Grundlage sie zu der Auffassung gelangt sind, dass der Beschwerdeführer bei Einsatz seiner vollen Arbeitskraft und bei Aufnahme einer seinen persönlichen Voraussetzungen entsprechenden Arbeit objektiv in der Lage wäre, ein Einkommen in der zur Leistung des titulierten Unterhalts erforderlichen Höhe zu erzielen.

(2) Die Gerichte haben keine Feststellung dazu getroffen, auf welcher Grundlage sie zu der Auffassung gelangt sind, der Beschwerdeführer könne unter Berücksichtigung seiner fehlenden beruflichen Qualifikation und insbesondere im Hinblick auf seine körperliche Behinderung einen derartigen Bruttostundenlohn erzielen. Es ist aus den angegriffenen Entscheidungen nicht zu erkennen, dass sie sich an den persönlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten des Beschwerdeführers und den tatsächlichen Gegebenheiten am Arbeitsmarkt orientiert haben. Wäre dies geschehen, hätten sie davon ausgehen müssen, dass dem Ausbildungsstand und den Fähigkeiten des Beschwerdeführers nur eine Tätigkeit als ungelernte Kraft entspricht und dass die Einsatzmöglichkeiten des Beschwerdeführers durch seine körperliche Behinderung zusätzlich begrenzt werden. Zur Höhe eines als ungelernte, körperlich behinderte Arbeitskraft erzielbaren Einkommens haben die Gerichte keine Feststellungen getroffen. Sie haben sich weder mit dem derzeit als ungelernte Kraft erzielbaren Lohn beziehungsweise aktuellen Mindestlöhnen der verschiedenen Branchen, noch mit den aufgrund seiner körperlichen Behinderungen zu erwartenden Einschränkungen des für den Beschwerdeführer konkret erzielbaren Einkommens auseinandergesetzt.

Ohne Prüfung durften sie nicht von den fehlenden Bemühungen des Beschwerdeführers um eine Erwerbstätigkeit auf seine Leistungsfähigkeit in Höhe des titulierten Unterhalts schließen. Die Gerichte haben mit der Zurechnung fiktiver Einkünfte in der von ihnen angenommenen Höhe den ihnen eingeräumten Entscheidungsspielraum überschritten.

[15] BVerfG JAmt 2012, 417.

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