Das Bundesverfassungsgericht hat sich jüngst in drei Entscheidungen – jeweils v. 18.6.2012 – 1 BvR 774/10,[1] 1 BvR 1530/11,[2] 1 BvR 2867/11[3] – mit dem Problem der Anrechnung fiktiver Einkünfte bei einem seinem minderjährigen Kind gem. § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB gegenüber verschärft haftenden Unterhaltspflichtigen befasst und in allen Fällen zugunsten der Unterhaltspflichtigen entschieden. Zu diesen Entscheidungen sind bereits verschiedene Anmerkungen in der Fachliteratur veröffentlicht worden.[4] Diese Vorgaben sind auch bereits von der sozialhilferechtlichen Rechtsprechung zu vorrangigen Selbsthilfebemühungen eines Antragstellers aufgegriffen worden.[5]

Die Entscheidungen geben Veranlassungen zu einigen Überlegungen aus Sicht der Praxis. Denn wir haben es leider nicht immer nur mit Unterhaltspflichtigen zu tun, die zwar leistungswillig sind, aber trotz ernsthafter, intensiver und regelmäßiger Bemühungen keine Erwerbstätigkeit finden können und von den Gerichten zu unangemessen hohen Unterhaltsleistungen aufgrund überhöht angesetzter fiktiver Einkünfte verpflichtet werden. Vielmehr gibt es auch Unterhaltspflichtige, die keinerlei Interesse erkennen lassen, Unterhalt zu leisten und die nicht nur wie der sprichwörtliche "Hund zum Jagen getragen werden" müssen, sondern auch noch alle nur denkbaren Schlupflöcher nutzen, einer gerichtlichen Verpflichtung zu Unterhaltszahlungen zu entkommen – letztlich zulasten der Gemeinschaft der Steuerzahler, die dies über Sozialleistungen auffangen muss. Die praktische Schwierigkeit in den Niederungen des juristischen Alltagslebens besteht darin, im konkret zur Entscheidung anstehenden Verfahren gerecht zu unterscheiden. Ob dies in jedem Einzelfall tatsächlich immer gelingt, lasse ich ausdrücklich offen. In der Praxis spielen in diesem Zusammenhang nicht zuletzt die vom Gesetz vorgegebenen verfahrensrechtlichen Gegebenheiten eine Rolle – Stichwort: Darlegungs- und Beweislast.

[3] BVerfG JAmt 2012, 417.
[4] Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Schürmann, jurisPR 16/2012 Nr. 1; Soyka, FuR 2012, 537; Götsche, FamRB 2012, 266; Lüder, FamFR 2012, 409.

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