Die Trennung eines Kindes von seinen Eltern gegen deren Willen ist nach Art. 6 Abs. 3 GG allein zu dem Zweck zulässig, das Kind vor nachhaltigen Gefährdungen zu schützen und darf nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen.[12] Art. 6 Abs. 3 GG ermächtigt zu einer zwangsweisen Trennung nur, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. Das BVerfG hat dies näher konkretisiert. Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern berechtigen den Staat auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramts, die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen.[13] Art. 6 Abs. 3 GG dient der Gefahrenabwehr und ist kein edukatives Optimierungsgebot: "Es gehört nicht zur Ausübung des Wächteramts des Staates, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kindes zu sorgen."[14] Denn das Grundgesetz hat den Eltern die primäre Entscheidungszuständigkeit bezüglich der Förderung ihrer Kinder zugewiesen. Das Elternrecht dient insoweit ganz entscheidend auch dem grundrechtlichen Schutz besonderer emotionaler Näheverhältnisse ("Liebesbedürfnis beider Teile"[15]), deren Schutzbedarf sich strukturell gegen staatliche Interventionen richtet. Ein einseitiger Fokus auf das Verhalten der Eltern, ohne die negativen Folgen einer Trennung für das Kind zu würdigen, verbietet sich daher von Verfassung wegen.[16]

Eine Trennung ist daher nur unter qualifizierten Voraussetzungen zulässig. Das elterliche Fehlverhalten muss ein solches Ausmaß erreichen, "dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist",[17] was einfachrechtlich den (verfassungskonform anzuwendenden) Anforderungen in § 1666 Abs. 1 BGB entspricht.[18] Die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt hiernach im Sinne einer konkreten Gefahr voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder eine Gefahr gegenwärtig in einem solchen Maße besteht, dass sich bei ihrer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt.[19] Nach allgemeinen Grundsätzen der Gefahrenabwehr bestimmt sich die notwendige Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts relational zur Wertigkeit des bedrohten Rechtsguts und der zeitlichen Nähe.[20] Etwa bei einer Gefahr lebensgefährlicher Misshandlung sind geringere Anforderungen zu stellen als im Fall mittelfristiger psychischer Beeinträchtigungen.

[12] BVerfG-K, Beschl. v. 22.9.2014 – 1 BvR 2108/14, FamRZ 2015, 208, Rn 9.
[13] BVerfG-K, Beschl. v. 28.2.2012 – 1 BvR 3116/11, BVerfGK 19, 295 (299); Beschl. v. 24.3.2014 – 1 BvR 160/14, FF 2014, 295, Rn 28; Beschl. v. 7.4.2014 – 1 BvR 3121/13, FamRZ 2014, 907, Rn 19; Beschl. v. 14.6.2014 – 1 BvR 725/14, NJW 2014, 2936, Rn 18; Beschl. v. 19.11.2014 – 1 BvR 1178/14, NJW 2015, 223, Rn 23.
[14] BVerfG-K, Beschl. v. 19.12.2007 – 1 BvR 2681/07, BVerfGK 13, 119 (124); Beschl. v. 24.3.2014 – 1 BvR 160/14, FF 2014, 295, Rn 28; Beschl. v. 14.6.2014 – 1 BvR 725/14, NJW 2014, 2936, Rn 18; ferner BVerfG-K, Beschl. v. 29.1.2010 – 1 BvR 374/09, BVerfGK 16, 517 (529); Beschl. v. 19.11.2014 – 1 BvR 1178/14, NJW 2015, 223, Rn 38.
[15] BVerfG-K, Beschl. v. 29.11.2012 – 1 BvR 335/12, NJW 2013, 1867, Rn 13, 19.
[16] BVerfG-K, Beschl. v. 19.11.2014 – 1 BvR 1178/14, NJW 2015, 223, Rn 37.
[17] BVerfG-K, Beschl. v. 20.6.2011 – 1 BvR 303/11, NJW 2011, 3355, Rn 22; Beschl. v. 24.3.2014 – 1 BvR 160/14, FF 2014, 295, Rn 28; Beschl. v. 14.6.2014 – 1 BvR 725/14, NJW 2014, 2936, Rn 18; ferner BVerfG-K, Beschl. v. 28.2.2012 – 1 BvR 3116/11, BVerfGK 19, 295 (299); Beschl. v. 8.3.2012 – 1 BvR 206/12, FamRZ 2012, 938; Beschl. v. 29.11.2012 – 1 BvR 335/12, NJW 2013, 1867, Rn 25; Beschl. v. 7.4.2014 – 1 BvR 3121/13, FamRZ 2014, 907, Rn 18; Weber, NJW 2014, 3072 (3076).
[18] Etwa BVerfG-K, Beschl. v. 22.5.2014 – 1 BvR 2882/13, FamRZ 2014, 1354, Rn 30.
[19] BVerfG-K, Beschl. v. 28.2.2012 – 1 BvR 3116/11, BVerfGK 19, 295 (301); Beschl. v. 24.3.2014 – 1 BvR 160/14, FF 2014, 295, Rn 28; Beschl. v. 7.4.2014 – 1 BvR 3121/13, FamRZ 2014, 907, Rn 19.
[20] Etwa Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 9. Aufl. 2014, Rn 119; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Aufl. 2013, Rn 77.

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