Als sich eine 1948 in der ehemaligen DDR nichtehelich geborene Beschwerdeführerin im Jahr 2003 erneut an das BVerfG wandte, weil ihr die Erteilung eines Erbscheins nach ihrem Vater, der die Vaterschaft wenige Monate nach ihrer Geburt anerkannt und mit seiner Tochter regelmäßigen (brieflichen) Kontakt gehabt hatte, deshalb verwehrt wurde, weil dieser im maßgeblichen Zeitpunkt (3.10.1990) in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaft war, wurde auch sie vom BVerfG abschlägig beschieden, und zwar mit dem Argument, die Bestimmung des Art. 235 § 1 Abs. 2 EGBGB bezwecke die Vermeidung von beitrittsbedingten Nachteilen und sei nach wie vor ein hinreichender Grund für die unterschiedliche Behandlung der beiden Gruppen nichtehelicher Abkömmlinge.[46]

Der dagegen angerufene EGMR folgte dem nicht,[47] stellte eine Verletzung des Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) i.V.m. Art. 8 EMRK (Achtung des Familienlebens) fest und erklärte die Anwendung der deutschen Stichtagsregelung generell, also sowohl bezüglich der vor und der nach dem Stichtag 1.7.1949 geborenen als auch bezüglich der vor dem Stichtag in der ehemaligen DDR geborenen nichtehelichen Kinder, für nicht mehr zeitgemäß. Die deutsche Gesellschaft habe sich wie andere europäische Gesellschaften maßgeblich weiter entwickelt und der rechtliche Status nichtehelicher Kinder entspreche heute dem Status ehelicher Kinder. Auch hätten hier "berechtigte Erwartungen" von Angehörigen in den Fortbestand der bisherigen Stichtagsregelung deshalb keine Rolle gespielt, weil der Erblasser weder eine berechtigte Ehefrau noch andere erbberechtigte nahe Angehörige hinterlassen habe. Schließlich habe die Anwendung des Nichtehelichengesetzes die Beschwerdeführerin ohne jegliche Ausgleichsansprüche von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen. Die Frage einer etwaigen Entschädigung nach Art. 41 EMRK ließ der Gerichtshof offen, um den Parteien die Möglichkeit eines Vergleichs zu dieser Frage zu geben, der dann auch später zwischen dieser und der Bundesregierung abgeschlossen wurde.

[46] BVerfG, Beschl. v. 20.11.2003, BVerfGK 2, 136.
[47] EGMR, Urt. v. 28.5.2009, EuGRZ 2010, 176.

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