Eichel/Stolterfoht (Hrsg.) 2015, 160 Seiten, illustrierter Sammelband, euregioverlag, 20 EUR, ISBN: 978-3-933617-62-0

Der 37. Band der Reihe "Die Region trifft sich – Die Region erinnert sich", befasst sich mit dem Leben und Wirken von Elisabeth Selbert. 13 Autorinnen und Autoren haben ihren Werdegang, ihre Arbeit und ihre Bedeutung beschrieben.

Wer war Elisabeth Selbert?

Sie gehört zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der Stadt Kassel. Sie hat dafür gesorgt, dass in dem am 23.5.1949 verkündeten Grundgesetz der Art. 3 Abs. 2 lautet: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Elisabeth Selbert war eine außergewöhnliche Frau. Sie führte ein für ihre Zeit modernes, unabhängiges und, wie von Antje Dertinger ausführlich beschrieben, ein selbstbestimmtes Leben. Geboren in Niederzwehren bei Kassel am 22.9.1896 als Tochter des Gefängniswärters und Wachtmeisters Georg Rohde, wuchs sie mit drei Schwestern auf, besuchte die Mittel- und Handelsschule und wurde Auslandskorrespondentin und danach Postbeamtenanwärterin im Telegrafendienst. Das reichte ihr aber nicht. 1918 trat sie, nachdem sie ihren späteren Mann Adam Selbert, ein SPD-Mitglied und überzeugten Politiker, kennengelernt hatte, in die SPD ein und wurde Ratsmitglied in der Gemeinde Niederzwehren. 1920 heiratete sie, 1921 und 1922 kamen die Söhne Gerhart und Herbert zur Welt.

Ihr Ehrgeiz ruhte nicht und so legte sie 1926 als dreißigjährige Externe die Abiturprüfung ab. Im Anschluss hieran studierte sie in Marburg und Göttingen Rechtswissenschaften. In Marburg war sie eine von drei Frauen, die Jura studierten, in Göttingen eine von vier Frauen bei insgesamt 350 Studenten. Nach dem sechsten Semester legte sie 1929 das erste juristische Staatsexamen ab. Das Abitur und Studium gelangen Elisabeth Selbert mit der Unterstützung ihrer Eltern, die ihre Söhne versorgten, und einer unverheirateten Schwester, die sich um den Haushalt kümmerte. Ihr Ehemann verzichtete in dieser Zeit auf eigenes berufliches Fortkommen.

Für ihre Dissertation hat Elisabeth Selbert ein Thema gewählt, das seiner Zeit weit voraus war. 1930 plädierte sie bereits für eine Reform des Scheidungsrechts mit dem Thema: "Zerrüttung als Ehescheidungsgrund." Dazu sollte man wissen, dass im Scheidungsrecht das Schuldprinzip herrschte und die progressiven Kräfte der Weimarer Republik es nicht geschafft hatten, eine Reform durchzusetzen. Auch die 1938 aus politischen Gründen eingeführte Liberalisierung des Scheidungs- und Scheidungsfolgenrechts wurde nach dem Krieg nicht außer Kraft gesetzt, sondern vom Alliierten Kontrollrat in dem Gesetz Nr. 16 über die Ehe vom 20.2.1946 weitgehend übernommen. Die Eherechtsreform in der von Elisabeth Selbert angedachten Weise sollte erst 47 Jahre später, am 1.7.1977 (!) gelingen, als die SPD/FDP-Koalition das Schuldprinzip vollständig durch das Zerrüttungsprinzip ersetzte.

1934 legte Elisabeth Selbert das zweite Staatsexamen ab. Ihre Zulassung als Rechtsanwältin erfolgte zu einer Zeit, in der Frauen an Heim und Herd verbannt wurden. Der der SS angehörende OLG-Präsident war nicht anwesend, so dass Elisabeth Selbert das Glück hatte, von seinen Vertretern zur Rechtsanwaltschaft zugelassen zu werden.

Elisabeth Selbert kaufte von jüdischen Kollegen, die emigrieren wollten, die Ausstattung ihrer Kanzlei und eröffnete Ende 1934 ihre erste eigene Kanzlei am Königsplatz 42 in Kassel. Elisabeth Selbert ernährte jetzt die Familie, denn ihr Ehemann war am 30.1.1933 als Kommunalbeamter entlassen worden. Da viele männliche Kollegen beim Militär waren, hatten Elisabeth Selbert und ihre drei Kolleginnen sehr viel zu tun.

Nach dem Ende des Krieges wurde Elisabeth Selbert in die Verwaltung der Stadt Kassel berufen. Dort war sie Verbindungsperson zur amerikanischen Militärbehörde und später Stadtverordnete. Ihre Praxis, die auch ein Notariat umfasste, wuchs auf 15 Angestellte an. Elisabeth Selbert arbeitete 1945/1946 in der Hessischen Verfassungsberatenden Landesversammlung mit und 1948/1949 im Parlamentarischen Rat.

Elisabeth Selbert fiel in beiden verfassungsgebenden Gremien insbesondere dadurch auf, dass sie hartnäckig eine Klarheit der Sprache und Eindeutigkeit der Aussagen forderte. So ist es ihr zu verdanken, dass Art. 3 Abs. 2 GG nach vielen Diskussionen wie folgt formuliert wurde: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt."

Elisabeth Selbert, die in der Literatur als die Anwältin der Gleichberechtigung verehrt wird, hat zwar frauenspezifische Themen wie Gleichberechtigung für Männer und Frauen, die Einführung eines bezahlten Hausarbeitstages usw. behandelt. Sie war aber keine Frauenrechtlerin im engen Sinn, denn sie arbeitete neben ihrer Tätigkeit als Leiterin der Kanzlei und des Notariats als Landtagsabgeordnete auch bei den Themen sozialer Wohnungsbau, Entnazifizierung, Währungsreform und Sozialarbeit mit.

Elisabeth Selbert war u.a. SPD-Parteivorstandsmitglied von 1946 bis 1956. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen für ihr politisches Wirken, so auch das Große Bundesverdienstkreuz. Sogar eine...

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