Im Rahmen eines Gutachtens für das österreichische Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien war der Erstautor dieses Beitrages einmal gezwungen, in der haftungsrechtlichen Frage zu den Folgen eines unsachgemäß erstellten familienrechtlichen Gutachtens mit zu überprüfen, welche Urteilsfolgen tatsächlich dem ursprünglichen Gutachten allein anzulasten waren und welche Indikatoren auch ein "normal begabter Richter ohne entwicklungspsychologische Vorkenntnisse" hätte bemerken können und dann z.B. in der mündlichen Verhandlung hätte erörtern und ausräumen müssen. Es handelte sich um ein abgekürztes Verfahren und es lagen keine Protokolle darüber vor, was tatsächlich in der mündlichen Verhandlung erörtert wurde. Die Untersuchung hatte zum Ergebnis, dass das ursprüngliche Gutachten offensichtliche Mängel in der Haltung des Gutachters aufwies, die z.B. in der Verwendung des Indikativs für alle Äußerungen der Kindesmutter und in der Verwendung des Konjunktivs für alle Äußerungen, die vom Kindesvater kamen, deutlich wurde. Diese Mängel waren durchaus auch für den "normalen juristischen Generalisten" erkennbar. Es hätte keiner weiteren psychologischen oder psychiatrischen Expertise bedurft, diese wahrzunehmen, kritisch zu hinterfragen und bei der Gesamtwürdigung des Falles und des Gutachtens zu berücksichtigen. Letztendlich waren der Gutachterin vor allem ex cathedra getroffene Aussagen zur Interpretation des kindlichen Spielverhaltens anzulasten, in denen sie ohne wissenschaftliche Belege – die man üblicherweise aber von einem erfahrenen Gutachter auch nicht verlangt (deshalb wählt das Gericht ja eine vermeintliche Expertin, einen vermeintlichen Experten) – Behauptungen aufgestellt hat, die das Gericht so einfach hingenommen hat. Natürlich hätte auch jeder Familienrichterin bzw. jedem Familienrichter auffallen können, dass die Art und Weise, wie ein Kind einen Spielfisch anfasst, nicht ein belastbarer Hinweis für Missbrauch sein kann; aber der Fall macht deutlich, dass es wirklich eines entsprechenden entwicklungspsychologischen und entwicklungspsychopathologischen Grundwissens bedarf, um in entsprechenden Fällen sich überhaupt über disziplinäre Grenzen hinweg zielführend verständigen und unabhängig urteilen zu können.

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