Ein Sachverständiger kann nach § 406 ZPO aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. In Familiensachen und hierbei vor allem in Kindschaftssachen werden Sachverständige wesentlich häufiger abgelehnt als in sonstigen Verfahren. Dies beruht offensichtlich auf der besonderen persönlichen Betroffenheit der Beteiligten, die in den meisten Fällen zumindest mittelbar selbst Gegenstand der Sachverständigentätigkeit sind.

1. Gründe in der Person des Sachverständigen

Hinsichtlich der persönlichen Nähe zu dem Verfahren, in dem der Sachverständige tätig werden soll oder bereits tätig geworden ist, gelten die gleichen Maßstäbe wie für den Richter, da er Gehilfe des Richters ist. Eine Tätigkeit des Sachverständigen für das Anwaltsbüro der Verfahrensbevollmächtigten des gegnerischen Beteiligten begründet die Besorgnis der Befangenheit.[53] Es fehlt allerdings eine gesetzliche Bestimmung, die demSachverständigen – wie dem Richter in § 48 ZPO – eine Prüfungs- und Offenbarungspflicht hinsichtlich der Umstände auferlegt, die Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit rechtfertigen können.[54]

[53] OLG Celle, Beschl. v. 2.9.2015 – 14 W 33/15, OLG Report Nord 48/2015 Anm. 2.
[54] Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Sachverständigenrechts (BR-Drucks 438/15) sieht eine entsprechende Ergänzung in § 407a ZPO vor.

2. Überschreitung der Befugnisse

a) Abweichen vom Gutachtenauftrag

(1) Die eigenmächtige Ausweitung des Gutachtenauftrags kann die Ablehnung des Sachverständigen rechtfertigen.[55] In Verfahren, welche die Person des Kindes betreffen, begründet der Umstand, dass der Sachverständige, ohne hierzu durch das Gericht gemäß § 163 Abs. 2 FamFG (Herstellung des Einvernehmens) beauftragt worden zu sein, die Begutachtung auf der Grundlage eines lösungsorientierten Ansatzes verfolgt, die Besorgnis der Befangenheit.[56]

(2) Begründete Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen können bestehen, wenn dieser aus Gründen des Kindeswohls eine Übertragung von Teilbereichen der elterlichen Sorge auf die Mutter anregt, obwohl Gegenstand des Sorgerechtsverfahrens und der Begutachtung allein die Frage ist, ob das Sorgerecht in Teilbereichen allein auf den Vater zu übertragen ist.[57] Wie schwierig die Abgrenzung im Einzelfall ist, zeigt der Fall, in dem der Sachverständige nach Abschluss seiner Ermittlungen und vor Einreichung des schriftlichen Gutachtens zur der Frage, ob die auf der Grundlage einer einstweiligen Anordnung erfolgte Fremdunterbringung des Kindes aufgehoben werden könne, das Jugendamt vorab darauf hingewiesen hatte, dass eine akute Gefahrensituation für das Kind bestehe, wenn der Umgang mit den Eltern nicht eingeschränkt werde. Eine Ablehnung soll hiermit jedenfalls dann nicht begründet werden können, wenn die Eltern über die Empfehlung des Sachverständigen zeitnah vom Gericht informiert und sie nicht in ihrer Rechtsverteidigung gegenüber möglichen Schutzmaßnahmen behindert worden sind.[58] Dies erscheint zweifelhaft, weil der Hinweis des Sachverständigen nicht an das Gericht, sondern an das Jugendamt als Verfahrensbeteiligten ergangen ist, ohne dass klar war, ob und in welcher Weise die Eltern informiert wurden.

[55] OLG Dresden, Beschl. v. 26.5.2015 – 9 W 130/15, juris.
[56] AG Tempelhof-Kreuzberg, Beschl. v. 22.4.2013 – 160 F 16064/12, FamRZ 2014, 781; OLG Naumburg, Beschl. v. 12.9.2011 – 4 WF 51/11, FamRZ 2012, 657.
[57] OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18.12.2014 – 2 WF 239/14, ZKJ 2015, 199 = FamRZ 2015, 1126 (LS): ausschlaggebend für den Erfolg der Ablehnung war außerdem, dass der Sachverständige empfohlen hatte, dem Vater künftig keine Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.
[58] OLG Hamm, Beschl. v. 30.1.2012 – 9 WF 56/11, ZKJ 2012, 229 = FF 2012, 334 (LS).

b) Empfehlungen zur Verfahrensweise des Gerichts

Die Empfehlung an das Gericht, künftig einem der Beteiligten Verfahrenskostenhilfe zu verweigern, überschreitet die Befugnisse des Sachverständigen und rechtfertigt Zweifel an seiner Unparteilichkeit.[59]

[59] OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18.12.2014 – 2 WF 239/14, ZKJ 2015, 199 = FamRZ 2015, 1126 (LS).

3. Verhalten bei der Erstellung und Erstattung des Gutachtens

a) Ein Sachverständiger, der einen Ortstermin durchführt, obwohl einem Verfahrensbeteiligten der Zutritt verweigert wird, kann erfolgreich abgelehnt werden.[60] Mit dem Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz nach § 357 Abs. 1 ZPO ist die "Waffengleichheit" der Beteiligten verletzt, was eine wesentliche Benachteiligung darstellt, die nicht durch die mögliche Teilnahme eines Verfahrensbevollmächtigten des ausgeschlossenen Beteiligten kompensiert werden kann. Dies gilt nicht für die Teilnahme an einer ärztlichen Untersuchung eines anderen Beteiligten, weil dort die Wahrung der Persönlichkeits- und Intimsphäre Vorrang hat und somit der Ausschluss Dritter gerechtfertigt ist.[61]

b) Da es an einer gefestigten Rechtsprechung fehlt, nach der einem medizinisch oder psychologisch zu begutachtenden Beteiligten bei einem Untersuchungstermin bzw. Explorationsgespräch des Sachverständigen die Anwesenheit einer Begleitperson ohne Äußerungs- bzw. Beteiligungsrecht zu gestatten ist, ist eine andere Verfahrensweise des Sachverständigen kein hinreichen...

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