Zugleich Besprechung von BGH, Beschl. v. 30.9.2015 – XII ZB 1/15

Eine Ehefrau ist mit dem vertraglich vereinbarten, gegen Währungsverfall stabilen Unterhalt von monatlich 3.370 EUR unzufrieden und klagt einen höheren "gesetzlichen" Trennungsunterhalt ein. Der BGH[1] gibt ihr Recht, weil der Verzicht, der in der Unterhaltsbeschränkung liege, gemäß § 1614 BGB unwirksam sei. Daran ändere auch ein der Ehefrau zugesagter zeitlich unbefristeter nachehelicher Unterhalt in gleicher Höhe nichts. Darin sei eine Gegenleistung zu sehen, die im Rahmen von § 1614 BGB unbeachtlich sei.

Der BGH folgt mit seiner Entscheidung einer langen Tradition. Bereits im Jahr 1901 hat das Reichsgericht mit einer strikten Rechtsprechung zum Schutz von Unterhaltsberechtigten vor dem Verlust ihrer Ansprüche durch Verzicht auf künftige Rechte begonnen. Obwohl der Gesetzeswortlaut vom Verzicht auf "den" Unterhalt spricht, hat das Reichsgericht den Schutz auf jegliche Unterhaltsverzichtsleistungen erstreckt.[2] Das war damals vom Zweck des Gesetzes geboten, Unterhaltsberechtigte vor Not zu schützen. Auch ein Teilverzicht brachte Unterhaltsberechtigte damals regelmäßig in eine Notlage. Deshalb waren Abmachungen jeglicher Art unwirksam, auch gerichtliche Vergleiche, die den gesetzlichen Unterhaltsanspruch schmälerten.[3] Um den Schutz des Unterhaltsberechtigten nicht auszuhöhlen, blieb es auch dann bei der Unwirksamkeit, wenn eine Gegenleistung für den Verzicht versprochen war.[4] Die wirtschaftlichen und sozialen und rechtlichen Verhältnisse haben sich in den letzten 100 Jahren entscheidend geändert. Das rechtfertigt es, Sinn und Reichweite von § 1614 BGB neu zu bedenken:

Der durch Artikel 2 GG geschützte Grundsatz der Vertragsfreiheit gilt auch im Familienrecht. Ein Verzicht auf nachehelichen Unterhalt wird gemäß § 1585c BGB ausdrücklich für zulässig erklärt, sofern er nicht gegen die guten Sitten verstößt. Da der Trennungsunterhalt lediglich die Übergangszeit zwischen intakter Ehe und Nachehe betrifft, also verglichen mit dem nachehelichen Unterhalt untergeordnete Bedeutung hat, ist ein gesteigertes Schutzbedürfnis des getrenntlebenden Ehegatten nicht zu erkennen. Die "sittliche Grundlage der Unterhaltsplicht" (Motive IV 709) kann bei dieser Sachlage nicht mehr als Rechtfertigung der Unwirksamkeit des Verzichts herangezogen werden. Konsequent sollte der Gesetzgeber in § 1585c BGB auch den Verzicht auf Trennungsunterhalt zulassen und den Schutz des § 1614 BGB auf unterhaltsberechtigte Kinder beschränken.

Jedenfalls ist § 1614 BGB als Ausnahmeregelung vom Grundsatz der Vertragsfreiheit einschränkend auszulegen. Der BGH missachtet diesen Ausnahmecharakter. Er beschränkt die Vertragsfreiheit der Ehegatten dadurch, dass er die Frage, ob ein Unterhaltsverzicht vorliegt, nach objektiven Kriterien beurteilt. Das widerspricht allgemeinem Unterhaltsverständnis. Es steht im Belieben von Ehegatten, inwieweit sie ihre Einkünfte für den laufenden Unterhalt oder anderweit verwenden. Mit der Gestaltung ihrer ehelichen Lebensverhältnisse setzen Eheleute zugleich den Maßstab für einen etwaigen Anspruch auf Trennungsunterhalt oder nachehelichen Unterhalt. Dieser subjektive Maßstab bedarf lediglich in zwei Extremfällen eines objektiven Korrektivs: wenn die Lebensführung der Ehegatten verschwenderisch oder extrem sparsam war.[5] Mit seiner Objektivierung des Unterhaltsverzichtsmaßstabes engt der BGH den Freiraum von Ehegatten bei der Unterhaltsgestaltung ein.

Des Weiteren ist es nicht mit dem Ausnahmecharakter von § 1614 BGB in Einklang zu bringen, wenn der BGH, ohne vom Wortlaut der Vorschrift dazu genötigt zu werden, unter einem Unterhaltsverzicht auch einen Unterhaltsteilverzicht versteht.

Die gewichtigsten Bedenken ergeben sich daraus, dass der BGH Gegenleistungen des Unterhaltspflichtigen außer Betracht lässt. Er verhindert damit in vielen Fällen eine sachgerechte Lösung der Gesamtunterhaltsfrage und verletzt dadurch die Interessen beider Ehegatten. Dafür ist der aktuelle Fall ein sprechendes Beispiel. Der berechtigten Ehefrau wird vertraglich ein Anspruch eingeräumt, der sich im Bereich der Sättigungsgrenze bewegt, ohne Rücksicht darauf, ob die rechtlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Trennungsunterhalt oder nachehelichen Unterhalt gegeben sind. Der Anspruch ist wertstabil und zeitlich unbefristet. Einziger Erlöschensgrund ist eine Wiederverehelichung, wobei der Anspruch im Falle der Scheidung der Ehe wieder auflebt. Der Verzicht auf die Chance, einen über 3.370 EUR monatlich liegenden Anspruch auf Trennungsunterhalt zu erstreiten, wird durch die weiteren (Unterhalts)Leistungen reichlich aufgewogen. Durch den Unterhaltsvertrag sind die Interessen der Berechtigten zeitlebens geschützt, durch die Rechtsprechung des BGH wird der Schutz auf den gesetzlichen Trennungsunterhalt beschränkt. Hätten die Parteien nicht vereinbart, dass bei Nichtigkeit einzelner Bestimmungen der Vertrag im Übrigen gültig bleibt, die Ehefrau wäre aller Rechte verlustig gegangen, nur...

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