Der heutige Stand des deutschen Unterhaltsrechts weist so viele Widersprüche, strukturelle Mängel und Unklarheiten auf, dass eine Überarbeitung des gesamten Gebäudes dem unbefangenen Betrachter als dringende Notwendigkeit erscheint. Ich verweise auf die Diskrepanzen beim Betreuungsunterhalt für eheliche und nichteheliche Kinder, auf das nicht begründbare Auseinanderdriften der Selbstbehalte und des Existenzminimums geschiedener Ehegatten, auf das weithin vernebelte Verhältnis zwischen Unterhaltsmaß und Leistungsfähigkeit, auf die Unklarheiten bei der Handhabung der Rangordnung.

Beim Durcharbeiten der Tabellen und Richtlinien habe ich mich gewundert, warum Beispiele für Mangelfallberechnung gewöhnlich nur für den schlichten Fall präsentiert werden, dass ein unterhaltspflichtiger Elternteil mehreren Kindern gegenübersteht. Wenn es wirklich interessant wird – mehrere Kinder mit mehreren Ehegatten bzw. kindesbetreuenden Müttern – findet man nichts oder wenig. Jörn Hauß ist auf die gute Idee gekommen, einen und denselben Fall mit je zwei unterhaltsberechtigten Kindern und Ehegatten diversen Unterhaltsspezialisten zur Berechnung vorzulegen – die Ergebnisse klaffen weit auseinander.[77] Wie soll das einem Unterhaltspflichtigen oder Unterhaltsberechtigten erklärt werden?

Derzeit erscheint zweifelhaft, ob die Strukturschwächen dem Gesetzgeber hinreichender Antrieb zum Tätigwerden sind. Im politischen Raum melden sich derzeit keine Kräfte, die geneigt wären, den Komplex Unterhalt gründlich erneut anzugehen. Die kindesbetreuenden Mütter sind – vielleicht aus Zeitmangel – nicht in Form von schlagkräftigen pressure groups organisiert, während die allgemeine Gleichstellungsbewegung hauptsächlich die beruflich voll entfaltete Frau favorisiert. Mit dem Thema Unterhalt sind auch keine Wahlen zu gewinnen.

Ein Anstoß könnte auch in diesem Kontext vom Bundesverfassungsgericht ausgehen, dem sich – wie gezeigt – einige Ansatzpunkte für verfassungsrechtliche Korrekturen bieten und das zudem erneut die einst vermisste[78] und nun erst recht verlorene Normenklarheit anmahnen könnte. Doch ist schwer abzuschätzen, ob ein geeigneter Fall nach Karlsruhe gelangt und welche Richtung dann das Gericht einschlagen wird.

[77] FamRB 2011, 183.

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