Gehen wir noch zu einigen weiteren Indikatoren. Auch in der Frage der Höhe des geschuldeten Unterhalts sehen wir die Chancen der unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten sinken, trotz eines gegenläufigen Akzents durch das BVerfG.[48]

[48] Gemeint ist die aufsehenerregende Entscheidung des BVerfG vom 25.1.2011, FamRZ 2011, 437, betreffend die "Drittelmethode"; dazu nun BGH FamRZ 2012, 281.

a) Mindestbedarf und Selbstbehalt

Den Sinkflug der Unterhaltschancen nach der Scheidung zeigt uns die Entwicklung der Selbstbehalte einerseits, der von den Tabellen ausgewiesenen Mindestbedarfe der Unterhaltsempfänger andererseits an. Ich füge dem Diagramm, das die absoluten Beträge der Düsseldorfer Tabelle seit 1982 ausweist, eine Linie hinzu, welche die Entwicklung der Verbraucherpreise (nicht in absoluten Zahlen, sondern als Tendenzlinie) wiedergibt.

Unschwer ist zu erkennen, dass der Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen gegenüber dem geschiedenen Ehegatten – nach den neueren Tabellen ohne Rücksicht darauf, ob erwerbstätig oder nicht – seit 2003 steil nach oben geht, während der Mindestbedarf des nicht erwerbstätigen Berechtigten – nunmehr offen als "Existenzminimum" bezeichnet – auf einer Linie unter 800 EUR verharrt.

Wenn wir in das Diagramm das von der Tabelle ausgeworfene Existenzminimum eines erwerbstätigen Berechtigten einstellen, mindert sich die Diskrepanz; es zeigt sich aber ein interessanter Verlauf: Bis 2005 waren Selbstbehalt und Mindestbedarf Erwerbstätiger identisch, um ab 2007 auseinanderzuscheren.[49] Dabei ist zu bedenken, dass der Selbstbehalt nach der Tabellenpraxis dem Verpflichteten beim relativen Mangelfall nicht durch eine Mangelfallberechnung ermäßigt wird, während der Mindestbedarf des Berechtigten unter dem Vorbehalt einer Mangelfallberechnung steht.

Dieses Auseinanderdriften ist offenbar eine autonome Entscheidung aus dem Bereich der deutschen Gerichtsbarkeit und provoziert die Frage nach der Kompetenz inoffizieller Gremien, solche allgemeinen Regeln zu generieren.[50] Da das Existenzminimum einer Person nicht von ihrer Rolle als Berechtigter oder Verpflichteter abhängen kann, besagt die Regel letztlich, dass dem Unterhaltspflichtigen in jedem denkbaren Fall mehr bleiben muss als das Existenzminimum. Wie ist das zu begründen, da der einschlägige § 1581 BGB doch allein auf die Billigkeit abstellt? Wäre eine solche Festlegung nicht die Sache des Gesetzgebers? Nun bekennt die Düsseldorfer Tabelle seit 2001, dass sie "keine Gesetzeskraft" habe. Doch weiß der Familienrichter, der sich von den Richtlinien seines Obergerichts löst, dass er fortgesetzt die Aufhebung seiner Entscheidungen riskiert. Wenn das Existenzminimum der Kinder gesetzlich bestimmt wird – kann dann das Existenzminimum der Erwachsenen, das im gleichen Rechenwerk eine Rolle spielt, nach den schwankenden Einschätzungen von Kommissionen fixiert werden, die vom Gesetz nicht dazu autorisiert sind?

Das Existenzminimum der nicht erwerbstätigen geschiedenen Ehefrau wie auch der nichtehelichen Mutter ist seit 2005 unverändert auf 770 EUR festgelegt, während gleichzeitig Kindesunterhalt, Studentenunterhalt und Selbstbehalt und auch die Verbraucherpreise beträchtlich steigen. Was immer die sachlichen Gründe sind – es sind rechtspolitische Entscheidungen, die nicht für einen dem Gericht vorliegenden Einzelfall, sondern von vorneherein mit dem Ziel allgemeiner Maßgeblichkeit getroffen und verkündet werden.

Entwicklung der Unterhaltsdaten nach DT 2003 – 2011

 
  2003 2011 Steigerung in %
Kindesunterhalt Existenzminimum 1. Stufe 269 317 117,84 %
Kindesunterhalt Existenzminimum 3. Stufe 384 426 110,94 %
Studentenunterhalt 600 670 111,67 %
Notwendiger Selbstbehalt gegenüber minderjährigen Kindern 840 950 113,10 %
Selbstbehalt des erwerbstätigen Verpflichteten gegenüber Geschiedenen 840 1050 125,00 %
Mindestbedarf des nicht erwerbstätigen unterhaltsberechtigten Ehegatten 730 770 105,48 %
Entwicklung der Verbraucherpreise (Stat. Bundesamt) 96,4 109,2 113,27 %
[49] Düsseldorfer Tabelle 2005 (FamRZ 2005, 1300): monatlicher Selbstbehalt des Erwerbstätigen gegenüber dem getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten 890 EUR; monatlicher Eigenbedarf (Existenzminimum) des erwerbstätigen unterhaltsberechtigten Ehegatten ebenfalls 890 EUR; bei nicht Erwerbstätigen mindert sich der Betrag auf jeweils 770 EUR. Ab Tabelle 2007 (FamRZ 2007, 1367) finden wir das Auseinanderdriften: Selbstbehalt des Pflichtigen, gleichgültig ob erwerbstätig oder nicht, 1.000 EUR, notwendiger Eigenbedarf des Berechtigten 900 EUR (erwerbstätig) bzw. 770 EUR (nicht erwerbstätig).
[50] Siehe auch den Beitrag von V. Lipp, FamRZ 2012, 1.

b) Auswirkungen der Entscheidung des BVerfG vom 25.1.2011?

Was die Höhe des Unterhalts geschiedener Ehegatten betrifft, könnte man einen aufsteigenden Impuls von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25.1.2011[51] erwarten. Die "Drittelmethode" ist verfassungsrechtlich beanstandet, die Lehre von den "wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen" eingeschränkt. Sie dürfen zumindest im Konkurrenzverhältnis des geschiedenen zum neuen Ehegatt...

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