BGB § 1666 § 1666a

Leitsatz

1. Eine Kindeswohlgefährdung i.S.d. § 1666 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr festgestellt wird, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer der drohende Schaden wiegt.

2. Die Aufzählung der Ge- und Verbote in § 1666 Abs. 3 BGB ist nicht abschließend, so dass auch andere zur Abwendung der Gefahr geeignete Weisungen in Betracht kommen. Soweit diese einen erheblichen Eingriff in Grundrechte der Betroffenen bedeuten, ist die Regelung in § 1666 Abs. 1 und 3 BGB nur dann eine ausreichende Grundlage, wenn es sich um die in § 1666 Abs. 3 BGB ausdrücklich benannten oder diesen vergleichbare Maßnahmen handelt.

3. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer gerichtlichen Maßnahme nach § 1666 BGB ist auch das Verhältnis zwischen der Schwere des Eingriffs in die elterliche Sorge und dem Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts für das Kind zu beachten. Die – auch teilweise – Entziehung der elterlichen Sorge ist daher nur bei einer erhöhten Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, nämlich ziemlicher Sicherheit, verhältnismäßig (Fortführung von Senatsbeschl. v. 26.10.2011 – XII ZB 247/11, FamRZ 2012, 99).

BGH, Beschl. v. 23.11.2016 – XII ZB 149/16

Anmerkung

Anm. d. Red.: Die Entscheidung ist abgedruckt in FamRZ 2017, 212 ff.

2 Anmerkung

Die Entscheidung betrifft das Verhältnis von Kindeswohlgefährdungen und staatlichen Maßnahmen zu deren Abwehr. Dabei zeigen die Ausführungen des BGH, dass die abstrakte Abgrenzung dieses Verhältnisses weniger Schwierigkeiten bereitet als die Anwendung der hierbei festgestellten Grundsätze auf den konkret zu beurteilenden Sachverhalt.

1. Vor der Beantwortung der von der Rechtsbeschwerde gestellten Frage der Zulässigkeit der vom Beschwerdegericht erteilten Weisungen an die Kindesmutter und deren Lebensgefährten zeigt der BGH zunächst grundsätzlich auf, welche Anforderungen an staatliche Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für das Kindeswohl nach §§ 1666, 1666a BGB zu stellen sind. Eine unterschiedlich hohe Intensität der Kindeswohlgefährdung erfordert und rechtfertigt Abwehr- und Schutzmaßnahmen mit einer unterschiedlich hohen Eingriffsschwelle. Je höher der Gefährdungsgrad und der drohende Schaden sind, umso weitgehender sind Eingriffe in die Rechte der betroffenen Personen (Kinder, Eltern und Dritte) zulässig, wenn sie geeignet und erforderlich sind, die Gefahr zu beseitigen. Hieraus leitet sich der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung verwendete Begriff der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, mit der ohne eine Schutzmaßnahme eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes zu erwarten ist, her. Dies entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Schutzmaßnahmen und Kindeswohlgefährdung, der in § 1666a BGB für den Fall der Trennung eines Kindes von den Eltern sowie den Fall der Entziehung der gesamten Personensorge Ausdruck gefunden hat, jedoch auch für sonstige, weniger einschneidende Schutzmaßnahmen gilt. Bei den ausdrücklich genannten weitgehenden Schutzmaßnahmen mit entsprechend schwerwiegenden Rechtsbeeinträchtigungen ist die Eingriffsschwelle erst erreicht, wenn mit ziemlicher Sicherheit vorauszusehen ist, dass es ohne solche Schutzmaßnahmen zu einer erheblichen Schädigung des Kindeswohls kommen wird. Bei einer weniger die Rechte von Beteiligten beeinträchtigenden Schutzmaßnahme ist dagegen eine geringere Wahrscheinlichkeit einer Kindeswohlschädigung ausreichend. Diese abstrakten Anforderungen entsprechen der in der Entscheidung zitierten Rechtsprechung des BVerfG. Sie bestimmen nicht nur die Eingriffsschwelle für ein staatliches Handeln, sondern auch die höchstzulässige Eingriffsintensität der jeweiligen Schutzmaßnahme. Ob eine Schutzmaßnahme bis zu dieser Grenze möglich ist, hängt aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes davon ab, ob nicht weniger einschneidende Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr ausreichend sind.

2. Wesentlich schwieriger ist dagegen die Anwendung dieser Grundsätze auf den jeweils zu beurteilenden konkreten Sachverhalt. Das zeigt auch der vom BGH entschiedene Fall sehr deutlich. Dass ein familiäres Zusammenleben eines mehrfach wegen Kindesmissbrauchs und in einem Fall auch wegen Vergewaltigung verurteilten Mannes als Lebenspartner der Kindesmutter mit deren 7-jähriger Tochter eine Gefahr für das Kindeswohl bedeutet, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden. Daran ändert der Umstand, dass die erheblichen strafbaren Handlungen, die zu Freiheitsstrafen geführt haben, bereits längere Zeit zurückliegen, nichts. Der Lebenspartner der Mutter ist noch während bestehender Führungsaufsicht im Jahr 2012 wegen des Besitzes von kinder- und jugendpornographischen Schriften und im Jahr 2013 wegen Nachstellung rechtskräftig verurteilt worden. Ein gerichtlich...

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