Pflege und Erziehung des Kindes sind gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG zuvörderst den Eltern zugeordnet; sie haben das Recht, diese nach ihren eigenen Vorstellungen frei zu gestalten,[65] und nehmen dieses insbesondere durch Ausübung der Sorge i.S.d. §§ 1626 ff. wahr.[66] Dem Staat fällt dagegen gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG nur das akzessorische Wächteramt zu: Er wacht über die elterliche Betätigung von Recht und Pflicht zu Pflege und Erziehung, hat dabei aber selbst kein mit dem elterlichen konkurrierendes Erziehungsrecht.[67] Er tritt nur subsidiär auf den Plan, und zwar – wenn die Eltern der ihnen primär zugewiesenen Erziehungsaufgabe nicht gerecht werden und daraus eine drohende Gefahr für das Kindeswohl resultiert[68] – anstelle der Eltern als sekundärer Erziehungsträger.[69] Dieser Aufgabe wird der Staat durch Ergreifung von Maßnahmen nach § 1666 gerecht.

Das heißt freilich nicht, dass dem Staat unterhalb der Schwelle der Kindeswohlgefährdung keinerlei Eingriffsmöglichkeit in das Elternrecht zukommt; elterlichem Handeln, dem eine latente Beeinträchtigung des Kindeswohls immanent ist – und ein solches kann in der Trennung der gemeinsam sorgeberechtigten Eltern liegen –, muss der Staat begegnen können.[70] Entsprechend sind an sein Tätigwerden als "Schlichter"[71] oder "Schiedsrichter"[72] "zwischen den beiden eigenständigen und durch das Elternrecht geschützten Rechtspositionen der Eltern"[73] geringere Voraussetzungen zur Rechtfertigung gestellt, die ihren Niederschlag für den Fall von Trennung und Scheidung der Eltern in § 1671 Abs. 1, aber auch in § 1628 gefunden haben. Diese geringere Rechtfertigungslast genießt der Staat aber ausschließlich deshalb, weil er nur zu einem "Ausgleich" der elterlichen Rechte berufen ist, "ohne ihren Vorrang als Erziehungsträger anzutasten", es also gerade nicht um "einen Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht" geht.[74] Solange also aufgrund von Trennung und daraus resultierenden Elternkonflikten keine Kindeswohlgefährdung besteht, bleibt es bei der alleinigen Erziehungszuständigkeit – insb. in Form der Sorgeausübung – der Eltern.

[65] BVerfGE 24, 119, 143; 31, 194, 204; 47, 46, 69 f.
[66] Erichsen, Verstaatlichung der Kindeswohlentscheidung?, 1978, S. 12 f.; Maunz/Dürig/Badura, GG, 65. EL 2012, Art. 6 Rn 111.
[67] Böckenförde, in: Krautscheidt/Marré (Hrsg.), Essener Gespräche 14, 1980, S. 54, 74 f.; Bonner Kommentar/Jestaedt, 74./75. EL Dez. 1995, Art. 6 Abs. 2 und 3 GG Rn 42, 178.
[68] Das BVerfG (E 24, 119, 143) zieht die Grenze bei einem elterlichen Handeln, "das bei weitester Anerkennung der Selbstverantwortlichkeit der Eltern noch als Pflege und Erziehung gewertet werden kann", und stellt dieses der "Vernachlässigung des Kindes" gegenüber.
[69] Böckenförde (Fn 66), S. 76; Coester, FamRZ 1996, 1181, 1182: "Rolle eines “Ausfallbürgen‘"; gleichfalls Jestaedt, in: Lipp/Schumann/Veit (Hrsg.), Kindesschutz bei Kindeswohlgefährdung – neue Mittel und Wege?, 2008, S. 5, 13, 17; v. Münch/Kunig/Coester-Waltjen, GGK I, 6. Aufl. 2012, Art. 6 Rn 84.
[70] Das BVerfG (E 31, 194, 205; 61, 358, 374) stützt diese Befugnis auf die "allgemeine Aufgabe des Staates, die Rechtsordnung und den Rechtsfrieden zu wahren".
[71] Bonner Kommentar/Jestaedt (Fn 66), Art. 6 Abs. 2 und 3 GG Rn 15 ff., 44, 48, 117, 168.
[72] BVerfGE 31, 194, 210 f.; Reuter, AcP 192 (1992), 108, 147; s. auch BVerfG ZKJ 2014, 379, 380: "lediglich vermittelnd zwischen den Eltern".
[73] BVerfGE 31, 194, 208; 61, 358, 374.
[74] BVerfGE 31, 194, 208; 61, 358, 374; FamRZ 1994, 223, 224; Bonner Kommentar/Jestaedt (Fn 66), Art. 6 Abs. 2 und 3 GG Rn 17, 44, 117.

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