Auch im Familienrecht war es vor allem das Bundesverfassungsgericht,[37] das unter Bezugnahme auf die Grundrechte der Art. 2 Abs. 1, Art. 3 und Art. 6 Abs. 1 GG, teilweise in Verbindung mit der Menschenwürde (Art. 1 GG), rechtsfortbildend wirkte.[38] Stichwort ist im Kindschaftsrecht die Gleichwertigkeit biologischer, rechtlicher und sozialer Elternschaft.[39] Es geht dabei um Gerechtigkeit im Familienrecht. Nachdem die traditionellen Familienstrukturen immer mehr verschwimmen,[40] kann nicht auf überkommene Familienbilder abgestellt werden. Signifikant ist dies im Kindschaftsrecht. Es knüpft überwiegend noch an die Ehe als Kern der Familie an. Beispiele sind die Vaterschaftsvermutung (§ 1592 Nr. 1 BGB), das gemeinsame Sorgerecht (§§ 1626a Abs. 1, 1626a Abs. 1 Nr. 2 BGB) und auch das Namensrecht (§ 1355 Abs. 1 BGB). Alleinerziehende Eltern, Fortsetzungsfamilien und Regenbogenfamilien zeigen, dass Realität und Normstruktur nicht mehr zusammenstimmen. Besonders deutlich wird dies auch am Beispiel der modernen Reproduktionsmedizin.[41] Die diesbezügliche Rechtsfortbildung ist vor allem Aufgabe des Gesetzgebers, nicht der Gerichte.[42] Die Rechtsprechung muss das geltende Recht im Lichte des Verfassungswandels auslegen und anwenden und auf diese Weise für Familiengerechtigkeit sorgen.[43] Gerechtigkeit bedeutet im Hinblick auf die Unübersichtlichkeit hinsichtlich der Familienstrukturen, dass jedes Familienmitglied einen Anspruch darauf hat, fair behandelt zu werden.[44] Dies betrifft nicht nur das Vermögensrecht der Familien, sondern vor allem auch die Familienbeziehungen.

Bedeutet Gerechtigkeit im Familienrecht, dass kein Familienmitglied ausgegrenzt wird, wird sich der Scheinvater doppelt betrogen fühlen:[45] Zum einen durch das Unterschieben eines Kindes[46] und zum anderen durch das faktische Aushebeln des gesetzlich vorgesehenen Unterhaltsregresses.[47] Insofern kann ihm nur der Gesetzgeber mit der Einführung einer Auskunftspflicht helfen. Sie dient auch dem Schutz des Kindes, das sonst unter den Druck des Scheinvaters gerät, die Auskunft einzuholen bzw. die eingeholten Informationen zu offenbaren. Diesem droht die Gefahr, in den Konflikt zwischen den drei beteiligten Elternfiguren hineingezogen zu werden.[48]

Autor: Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz , Notar in Regen und Zwiesel, Honorarprofessor an der Universität Regensburg

FF 2/2016, S. 48 - 52

[37] Krit. gegenüber dem Professorengericht s. Pagenkopf, ZRP 2011, 229.
[38] Schwab, AnwBl. 2009, 557 ff. u. Böhm, DVBl. 2014, 401, 403. Vgl. auch Rixe, FPR 2008, 222 ff. zum EGMR als Motor der Harmonisierung des Familienrechts in Europa.
[39] BVerfG, Beschl. v. 31.1.1989 – 1 BvL 17/87, BVerfGE 79, 256, 267 = FamRZ 1989, 255; BVerfG, Beschl. v. 9.4.2003 – 1 BvR 1493/96, BVerfGE 108, 82, 106 = FamRZ 2008, 2185 = FF 2003, 134; BVerfG, Beschl. v. 20.9.2006 – 1 BvR 1337/06, FamRZ 2006, 1661; BVerfG, Beschl. v. 17.12.2013 – 1 BvL 6/10, BVerfGE 135, 48 = FamRZ 2014, 449 = NJW 2014, 1364. Vgl. Classen, DVBl. 2013, 1086, 1090 u. skeptisch Schwab, AnwBl. 2009, 557, 563.
[40] Beck/Beck-Gernsheim, Das normale Chaos der Liebe, 1990, S. 184 ff.; Bertram, Familien leben, 1997, S. 82 ff. und Buchholz-Graf, in: Kappler/Kappler (Hrsg.), Hdb. Patchworkfamilie, 2013, S. 1 ff.
[41] Vgl. Grziwotz, NZFam 2014, 1065 ff.
[42] Zum Schutz des Gesetzgebers durch das BVerfG Britz, JA 2015, 319, 324.
[43] S. nur Schwab, in: 50 Jahre BGH, FG aus der Wissenschaft, 2000, S. 921, 943.
[44] Forst, Das Recht auf Rechtfertigung, 2007, S. 10 u. 279 u. ders., Kontexte der Gerechtigkeit, 1996, S. 68 f.
[45] Krit. van Lijnden, http://www.lto.de/persistent/a_id/14988/ (abgerufen am 5.5.2015).
[46] Vgl. BGH, Urt. v. 9.11.2011 – XII ZR 136/09, BGHZ 191, 259 = FamRZ 2012, 200 = NJW 2012, 450 = FF 2012, 124, wo die Frau den Mann sogar zum Vaterschaftsanerkenntnis aufgefordert hatte.
[47] Klinkhammer, in: Schnitzler, AHB FamR, 4. Aufl. 2014, § 30 Rn 99. S. zum familienrechtlichen Ausgleichsanspruch OLG Nürnberg, Beschl. v. 24.10.2012 – 7 UF 969/12, FamRB 2013, 73; Götz, FF 2013, 225 ff. und Langheim, FamRZ 2013, 1529 ff.
[48] Zutreffend Löhnig, NZFam 2015, 359.

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