1. Das Recht auf Kenntnis der genetischen Abstammung

Die Grundrechte sind nach klassischer Auffassung staatsgerichtet.[18] Zwischen Privatpersonen ("Horizontalwirkung") wirken sie vermittelt über die Generalklauseln des Zivilrechts.[19] Die diesbezügliche Rechtsfortbildung hat das Bundesverfassungsgericht von den Zivilgerichten wiederholt angemahnt. Die Fachgerichte sollen die Mühen der Rechtsfortbildung nicht scheuen und sich dieser nicht entziehen.[20] So ist die Ehevertragsgerechtigkeit von den Familiengerichten über die Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB (Wirksamkeitskontrolle) und § 242 BGB (Ausübungskontrolle) zu gewährleisten, sofern nicht, wie beispielsweise bei § 8 Abs. 1 VersAusglG, eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für die richterliche Kontrolle existiert. Demgegenüber wirkt das vom BVerfG "erfundene" Recht auf Kenntnis der Abstammung teilweise unmittelbar, teilweise über einfach gesetzliche Bestimmungen (§§ 8d Abs. 2, 15 Abs. 2 Satz 1, 16a TPG, §§ 5 Abs. 2, 6 Abs. 2 TPG-GewV). Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, das für die Identitätsfindung von grundlegender Bedeutung sein soll, basiert auf dem Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) in Verbindung mit der Menschenwürde (Art. 1 GG)[21] und ist insbesondere bei Maßnahmen der künstlichen Befruchtung sowohl von den Wunscheltern als auch von Samenspendern, Eispenderinnen und Embryonenspendern zu beachten. Gleiches gilt für die am medizinisch assistierten Fortpflanzungsvorgang beteiligten Ärzte, Kinderwunschzentren und Samenbanken. Das Recht auf Kenntnis der Abstammung begründet insofern Ansprüche, die vor den Zivilgerichten durchsetzbar sind. Grundlage im Verhältnis zu den Ärzten, Kinderwunschzentren und Samenbanken ist der mit den Wunscheltern abgeschlossene Behandlungsvertrag, der zumindest mit Schutzwirkungen des Kindes ausgestaltet ist.[22] Es betrifft aber auch die "klassisch", d.h. im Wege der "Beiwohnung", gezeugten Kinder sowie die Annahme eines Kindes und das jeweilige diesbezügliche Eltern-Kind-Verhältnis.

Im Verhältnis der unmittelbar Beteiligten, den rechtlichen und biologischen Eltern sowie dem Kind, verstößt die Durchsetzung im Wege der Selbsthilfe mittels "heimlicher Vaterschaftstests" gegen das Selbstbestimmungsrecht des Kindes.[23] Der Gesetzgeber hat sowohl für die Eltern als auch für das Kind ein Verfahren zur Feststellung der Elternschaft ohne rechtliche Wirkungen geschaffen (§ 1598a BGB). Auch dem biologischen Vater steht ein mittelbares Feststellungsverfahren hinsichtlich seiner Vaterschaft zu, wenn er ein ernsthaftes Interesse an seinem Kind gezeigt hat (§ 1686a BGB, § 167a Abs. 2 FamFG).[24] Dieses Verfahren hat rechtliche Wirkungen nur zugunsten des biologischen Vaters, der ein Umgangs- und Auskunftsrecht (Elternschaft light) erhalten kann. Pflichten sind für ihn damit nicht verbunden.[25] Bisher fehlt ein Verfahren für denjenigen biologischen Vater, der lediglich als anonymer Samenspender aufgetreten ist. Auch Großeltern und Geschwistern steht kein Verfahren zur Ermittlung ihrer genealogischen Beziehung zur Verfügung. Umstritten ist, ob die Abstammung von der Mutter Gegenstand des Klärungsverfahrens sein kann.

[18] S. nur BVerfG, Beschl. v. 19.12.1951 – 1 BvR 220/51, BVerfGE 1, 91, 104; BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532, 533/77 u. 419/78 u. 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290, 337 = NJW 1979, 699; Teubner, Verfassungsfragmente, 2012, S. 33 f. u. Antoni, in: Hönig (Hrsg.), GG, 10. Aufl. 2013, Die Grundrechte, Rn 3.
[19] S. nur Manssen, StaatsR II, 12. Aufl. 2015, Rn 104 ff. u. Oeter, AcP 119, 1994, 529, 531.
[20] So Gaier, ErbR 2015, 285.
[21] BVerfG, Urt. v. 31.1.1989 – 1 BvL 17/87, BVerfGE 79, 256 = FamRZ 1989, 255 = NJW 1989, 891; BVerfG, Beschl. v. 26.4.1994 – 1 BvR 1299/89, 1 BvL 6/90, FamRZ 1994, 881, 882 = NJW 1994, 2475; BVerfG, Beschl. v. 6.5.1997 – 1 BvR 409/90, BVerfGE 96, 56 = FamRZ 1997, 869 = NJW 1997, 1769; BVerfG, Beschl. v. 9.4.2003 – 1 BvR 1493/96, 1724/01, BVerfGE 108, 82, 105 = NJW 2003, 2151 = FamRZ 2003, 816 = FF 2003, 134; BVerfG, Urt. v. 13.2.2007 – 1 BvR 421/05, BVerfGE 117, 202 = FamRZ 2007, 441 = NJW 2007, 753 = FF 2007, 96. Vgl. auch Hohmann-Dennhardt, in: Bayer/Koch (Hrsg.), Aktuelle Fragen des Familienrechts, 2009, S. 139, 140 ff. u. Schwab, AnwBl. 2009, 557, 565. S. ferner EGMR, Urt. v. 25.9.2012 – 33783/09 (Godelli/Italien), FamRZ 2012, 1935 = NJOZ 2014, 117. Zum Anspruch auf ein teures Vaterschaftsfeststellungsverfahren s. BVerfG, Beschl. v. 18.8.2010 – 1 BvR 811/09, FamRZ 2010, 1879 = NJW 2010, 3772.
[22] BGH, Urt. v. 28.1.2015 – XII ZR 201/13, FamRZ 2015, 642 = NJW 2015, 1098; OLG Hamm, Urt. v. 6.2.2013 – 14 U 7/12, FamRZ 2013, 637; vgl. Schneider, FamFR 2013, 172 ff. und Grziwotz, FF 2013, 233 ff.
[23] BVerfG, Urt. v. 13.2.2007 – 1 BvR 421/05, BVerfGE 117, 202 = FamRZ 2007, 441 = NJW 2007, 753 = FF 2007, 96; vgl. auch BGH, Urt. v. 12.1.2005 – XII ZR 227/03, BGHZ 162, 1 = FamRZ 2005, 340.
[24] Vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.4.2003 – 1 BvR 1493/96, 1724/01, BVerfGE 108, 82 = FamRZ 2008, 2185 = FF 2003, 134. S. auch Klinkhammer, in: Schnitzler,...

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