Konsequenzen aus dem Urteil des BGH v. 29.10.2020 – IX ZR 264/19[1]

[1] BGH FamRZ 2021, 133.

I. Problemstellung

Das RVG bestimmt in § 15 Abs. 2, dass der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern darf. Der Begriff der "Angelegenheit" wird im Gesetz jedoch nicht definiert. Es wird der Rechtsprechung und dem Schrifttum überlassen, die Abgrenzung im Einzelfall vorzunehmen.[2]

Zwar enthält das RVG in den §§ 16-18 Regelungen, wann von derselben, verschiedenen oder besonderen Angelegenheit auszugehen ist, eine Definition des gebührenrechtlichen Begriffes der "Angelegenheit" enthalten diese Vorschriften allerdings nicht.

Die Rechtsprechung geht in der Beschreibung davon aus, dass es sich bei der "Angelegenheit" im gebührenrechtlichen Sinne um das gesamte Geschäft handelt, das der Rechtsanwalt für den Auftraggeber besorgen soll. Ihr Inhalt bestimmt den Rahmen, innerhalb dessen der Rechtsanwalt tätig wird.[3]

Für die Bearbeitung und gebührenrechtliche Betrachtung von Familienrechtsmandaten enthält das RVG in § 16 Nr. 4 und in § 17 Nr. 3 und 8 Regelungen. Beide Vorschriften beziehen sich auf gerichtliche Verfahren. Eine Scheidungssache oder ein Verfahren über die Aufhebung einer Lebenspartnerschaft und die Folgesachen sind dieselbe Angelegenheit (§ 16 Nr. 4). Verschiedene Angelegenheiten sind nach § 17 Nr. 3 das vereinfachte Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger und das streitige Verfahren sowie nach Nr. 8 das Vermittlungsverfahren nach § 165 FamFG und das sich anschließende gerichtliche Verfahren.

Für übrige gerichtliche Familienverfahren und vor allem für die außergerichtliche Mandatsbearbeitung ist somit auf die vom BGH entwickelte Beschreibung zurückzugreifen. Dies kann bei Familienrechtsmandaten, die häufig sehr komplex sind, zu Abgrenzungsfragen oder -problemen führen.

Der IX. ZS des BGH hatte sich mit einer Fragestellung zu befassen, die Bedeutung über den eigentlichen Sachverhalt hinaus hat.

[2] Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 25. Aufl., 2021, § 15 Rn 5.
[3] BGH, Urt. v. 9.2.1995, NJW 1995, 1431.

II. Die Entscheidung des IX. ZS des BGH v. 29.10.2020

Die Gerichte der I. und II. Instanz hatten über die Gebührenklage eines Rechtsanwaltes zu entscheiden, dem der Auftrag in einer familienrechtlichen Angelegenheit übertragen war. Der Mandant hatte ihn mit der Vertretung in der Ehescheidung und Folgesachen (Versorgungsausgleich) beauftragt. Außerdem sollte der Rechtsanwalt ihn in weiteren vermögensrechtlichen Streitigkeiten gegen die Ehefrau vertreten. Dazu zählten u.a. der Unterhalt, die Vermögensauseinandersetzung und eine Nutzungsentschädigung. In diesem Zusammenhang reichte der Rechtsanwalt beim Familiengericht gegen die Ehefrau einen Antrag ein, der sich auf den Gesamtschuldnerausgleich bezog. Nachdem der Mandant das Mandat gekündigt hatte, stellte der Rechtsanwalt vier Vergütungsabrechnungen, von denen der Mandant drei beglich. Sie bezogen sich auf

die außergerichtliche Vertretung im Sinne der Ehescheidung, des Versorgungsausgleiches, des Kindesunterhaltes, des Trennungsunterhaltes, der Vermögensauseinandersetzung, der Steuererstattungsansprüche sowie auf die gerichtliche Tätigkeit in der Ehesache mit Versorgungsausgleich,
die gerichtliche Vertretung im Unterhaltsverfahren,
die außergerichtliche und gerichtliche Vertretung im Zusammenhang mit der Nutzungsentschädigung.

Die vierte Rechnung hatte die außergerichtliche und gerichtliche Vertretung im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleiches zum Gegenstand. Diese bezahlte der Mandant nicht. Daraufhin reichte der Rechtsanwalt Klage beim Amtsgericht ein. Diese wurde abgewiesen. In dem darauffolgenden Berufungsverfahren sprach das Landgericht einen Teil der Gebühren zu, soweit diese sich auf die außergerichtliche Tätigkeit bezogen. Da der Rechtsanwalt nicht nachweisen konnte, mit der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Gesamtschuldnerausgleich beauftragt worden zu sein, blieben insoweit seine Klage, die Berufung und die zugelassene Revision erfolglos.

Der IX. ZS des BGH nahm dieses Verfahren zum Anlass, seine frühere Rechtsprechung zum gebührenrechtlichen Begriff der "Angelegenheit" zu bekräftigen. Er betont, es bedürfe einer Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände, ob von einer oder mehreren Angelegenheiten auszugehen sei. Maßgebend sei der Inhalt des erteilten Auftrages. Dabei komme es für die vom Rechtsanwalt zu erbringenden Leistungen auf den inneren Zusammenhang an. Wenn diese in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen würden, dass von einem einheitlichen Rahmen gesprochen werden könne, liege eine Angelegenheit vor (Tz. 8).

Hervorhebenswert ist weiterhin in der Entscheidung des BGH, dass er die Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne von dem Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit abgrenzt. Der Senat hebt hervor, ein innerer Zusammenhang zwischen den anwaltlichen Leistungen sei zu bejahen, wenn die verschiedenen Gegenstände bei objektiver Betrachtung und unter Berücksichtigung des mit der anwaltlichen Tätigkeit nach dem Inhalt des Auftrags erstellten Erfolg zusammen...

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