Der Bundesgerichtshof hat seine Entscheidung damit begründet, es komme auch keine (verfassungskonforme) Auslegung dahin in Betracht, dass das Tatbestandsmerkmal Geschlecht in § 21 Abs. 1 Nr. 3 PStG nicht nur das weibliche oder männliche, sondern auch ein drittes Geschlecht wie etwa "inter" oder "divers" umfasse. Das folge aus einer systematischen Auslegung der Norm. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 PStG sei Personenstand die sich aus den Merkmalen des Familienrechts ergebende Stellung einer Person innerhalb der Rechtsordnung. Eintragungen in Personenstandsregistern hätten deshalb lediglich eine dienende Funktion; sie enthielten Angaben, die nach den Regeln des materiellen Familienrechts grundlegende Bedeutung für die persönliche Rechtsstellung besäßen. Die Rechtsordnung, namentlich das Familienrecht, gehe aber von einem binären Geschlechtersystem aus.[28] Etwas anderes folge auch nicht aus § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vom 14.8.2006. Zwar solle die Norm auch "zwischengeschlechtliche Menschen" vor Benachteiligungen schützen. Wie sich aus der Gesetzesbegründung aber auch ergebe, habe der Gesetzgeber mit ihr nicht etwa ein neues Geschlecht bilden, sondern die betroffenen Menschen wegen ihrer "sexuellen Identität" schützen wollen.

Der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung des § 22 Abs. 3 PStG dem Umstand Rechnung getragen, dass es Menschen gebe, die sich den bekannten Geschlechtern nicht zuordnen ließen. Zudem verweist der Bundesgerichtshof auf eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und vom Bundesministerium für Gesundheit in Auftrag gegebenen Stellungnahme des Deutschen Ethikrats vom 14.2.2012, der der Gesetzgeber jedenfalls im Ansatz gefolgt sei. Der Gesetzgeber habe auch mit § 22 Abs. 3 PStG kein weiteres Geschlecht geschaffen. Dafür fehle es im Übrigen an entsprechenden materiell-rechtlichen Regelungen wie etwa zur Abstammung und Partnerschaft.

Den Gesetzgebungsmaterialien lasse sich entnehmen, dass die Schaffung eines weiteren Geschlechts auch nicht dem Willen des Gesetzgebers entspreche. Die Bundesregierung, deren Gesetzesentwurf zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften ursprünglich keine Regelungen zur Intersexualität enthalten habe, habe auf eine entsprechende Initiative des Bundesrats erwidert, eine Lösung der komplexen Probleme insbesondere unter Berücksichtigung medizinischer Aspekte könne in diesem schon weit fortgeschrittenen Gesetzgebungsverfahren nicht kurzfristig gefunden werden. Vor einer Neuregelung wären umfassende Anhörungen von Betroffenen und Sachverständigen durchzuführen. Dabei müsse auch geprüft werden, welche Änderungen in anderen Gesetzen erforderlich wären. Schließlich habe die jetzige Fassung des § 22 Abs. 3 PStG durch die Beschlussempfehlung des Innenausschusses Eingang in das Gesetz gefunden. Dazu heiße es lediglich, dass sich § 22 Abs. 3 PStG der Problemstellungen des deutschen Ethikrats zum Thema "Intersexualität" annehme und klarstelle, dass die Geschlechtsangabe im Geburtseintrag offenbleibe, wenn diese nicht zweifelsfrei feststehe.

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs sah auch keine Veranlassung, die Sache dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 GG vorzulegen. Er halte die §§ 21 Abs. 1 Nr. 3, 22 Abs. 3 PStG, auf die es bei seiner Entscheidung allein maßgeblich ankomme, nicht für verfassungswidrig. Die Frage, ob die früher bestehende Notwendigkeit, entweder als männlich oder als weiblich im Geburtenregister eingetragen zu werden, Intersexuelle in ihren Grundrechten verletze, stelle sich nicht mehr. Denn die antragstellende Person könne gemäß §§ 48 Abs. 1, 47 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 22 Abs. 3 PStG erreichen, dass die Angabe des Geschlechts ("Mädchen") nachträglich aus dem Geburtenregister gelöscht werde. Weil das materielle Familienrecht keine spezifischen Regelungen für ein Geschlecht "inter/divers" bereithalte, komme einer entsprechenden Angabe im Personenstandsregister keine eigenständige, konstitutive Bedeutung zu. Wenn aber der Bezeichnung "inter" oder "divers" im Geburtenregister kein materieller Gehalt gegenüberstehe, mache es für den Betroffenen im Ergebnis keinen – verfassungsrechtlich bedeutsamen – Unterschied, ob ein geschlechtszuordnender Eintrag unterbleibe oder – wie von der antragstellenden Person begehrt werde – ein Eintrag erfolge, der keinem bestehenden "Geschlecht" zugeordnet werden könne, also rein deklaratorischer Natur sei. Die Frage, in welcher Weise der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten sei, der Situation der Betroffenen durch eine Änderung des materiellen Familienrechts Rechnung zu tragen, sei im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen. Es gehe der antragstellenden Person vorliegend nicht etwa um Fragen der Abstammung oder um die Eingehung einer rechtlichen Partnerschaft, sondern allein um die Eintragung ihres Geschlechts als "inter" oder "divers" im Geburtenregister.

Nach der von der Rechtsbeschwerde herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Transsexualität gebiete es zwar die Menschenwür...

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