Zu den ungeschriebenen, gleichwohl in der Rechtsprechung des BVerfG sehr ausdifferenzierten und aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG hergeleiteten Prozessgrundrechten gehört das "Recht auf ein faires Verfahren".[55] Positivrechtlich ist es einerseits in Art. 6 Abs. 1 EMRK, aber auch etwa in Art. 52 Abs. 4 Verf Bbg. normiert. Sowohl aus dieser Gewährleistung als auch aus den materiellen Grundrechtspositionen des Art. 26 Abs. 1 Verf Bbg. (Schutz von Ehe und Familie) und des Art. 27 Abs. 2 Verf Bbg. (Elternrecht auf Pflege und Erziehung der Kinder) folgt, dass das gerichtliche Verfahren in Kindschaftssachen, speziell auch in Umgangsverfahren, aufgrund seiner Ausgestaltung geeignet und angemessen sein muss, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu schaffen und der Durchsetzung der materiellen Grundrechtspositionen wirkungsvoll zu dienen.[56] Der in Art. 7 Verf BE i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip verankerte Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz in bürgerlich-rechtlichen Rechtsstreitigkeiten kann das Gericht in kindschaftsrechtlichen Verfahren (hier: Sorgerechtsverfahren, belastet durch den, wie sich herausstellte, wahrheitswidrigen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs des Kindes durch den Vater) darüber hinaus zu einer erhöhten Förderung des Verfahrens bis hin zu einer größtmöglichen Beschleunigung unter konsequenter Nutzung sämtlicher zur Verfügung stehenden Möglichkeiten verpflichten; denn eine Verfahrensverzögerung kann die für die Entscheidung maßgeblichen persönlichen Bindungen zwischen den betroffenen Familienmitglieder beeinflussen und damit faktisch die Entscheidung vorprägen.[57] Dementsprechend kann im Entschädigungsverfahren wegen überlanger Verfahrensdauer nach § 198 GVG eine unangemessene Verfahrensführung nicht nur dann angenommen werden, wenn die Gerichte ohne nachvollziehbaren Grund untätig geblieben sind oder eine zügige Entscheidung durch nicht mehr erklärbare "Schiebeverfügungen" verhindert haben; die Annahme speziell eines unangemessen lange dauernden kindschaftsrechtlichen Verfahrens kann auch darauf gestützt werden, dass das Gericht nicht aktiv verfahrensbeschleunigend tätig geworden ist, wobei die Bearbeitung nicht vollständig zum Erliegen gekommen sein muss.[58]

Die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe in Familiensachen hat sich auch nach Auffassung der Landesverfassungsgerichtsbarkeit an dem Gebot einer weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes zu orientieren.[59] Es stellt dementsprechend eine mit Art. 10 Abs. 1 Verf BE i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Rechtsschutzgleichheit) nicht mehr zu vereinbarende Überspannung der auch der Prüfung durch den VerfGH unterliegenden Anforderungen an die Darstellung des Streitverhältnisses gem. §§ 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 117 Abs. 1 S. 2 ZPO dar, wenn das Gericht von der Beschwerdeführerin Tatsachenvortrag zu Einwendungen der Gegenseite fordert, für die diese (erst) im Hauptsacheverfahren darlegungs- und beweisbelastet wäre, und wenn das Gericht die unbemittelte Beschwerdeführerin stattdessen auf die Möglichkeit einer Auskunftsklage verweist und ihr damit für das Hauptsacheverfahren faktisch die Möglichkeit eines einfachen Bestreitens der von der Gegenseite darzulegenden und zu beweisenden Tatsachen abschneidet.[60] Zu den Prozessgrundrechten gehört auch der Schutz vor willkürlicher Handhabung des Prozessrechts. Es ist jedoch nicht willkürlich im Sinne des Art. 118 Abs. 1 Verf BY, die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 S. 1 FamGKG (Nichterhebung von Kosten, die bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären) nicht bereits dann zu bejahen, wenn sich das Amtsgericht bei der Entscheidung über eine Adoption bezüglich einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage (hier: intakte Beziehung zu den leiblichen Eltern als Ausschlussgrund für die Adoption eines Enkels durch seine Großeltern) einer Mindermeinung anschließt und das Rechtsmittelgericht insoweit anders entscheidet; und genauso wenig willkürlich ist die unterschiedliche Auslegung und Anwendung der fraglichen Kostenbestimmung durch verschiedene Gerichte.[61]

[55] S. dazu die Übersicht bei Jarass/Pieroth, GG, Komm., 16. Aufl. 2020, Rn 42 zu Art. 20 m.w.N.
[56] VerfG Bbg., Beschl. v. 18.3.2011 – 56/10, FamRZ 2011, 1243 (LS) = juris Rn 27 ff., sowie Beschl. v. 30.11.2018 – 19/18, juris Rn 12.
[57] VerfGH Berlin, Beschl. v. 16.1.2015 – 84/13, NZFam 2015, 427 = juris Rn 7 ff.
[58] VerfGH Berlin, Beschl. v. 9.11.2016 – 159/15, FamRZ 2017, 732 = juris Rn, 15 f.
[59] Zum Grundsatz der Rechtsschutzgleichheit bei der Gewährung von Verfahrenskostenhilfe nach bundesrechtlichem Maßstab s. beispielhaft BVerfG (K), Beschl. v. 13.7.2020 – 1 BvR 631/19, FamRZ 2020, 1559 = juris Rn 19.
[60] VerfGH Berlin, Beschl. v. 30.9.2014 – 97/13, FamRZ 2015, 593 = juris Rn 13 ff.
[61] BayVerfGH, Entsch. v. 31.1.2019 – Vf. 81-VI-17, NJW-RR 2019, 514 = juris Rn 43, 48.

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