Die politische Diskussion um eine Neuregelung nahm, auch befördert durch die – noch nicht rechtskräftige – Entscheidung des OLG Bamberg sowie die erhebliche Zunahme von registrierten ausländischen Minderjährigenehen, im Laufe der ersten Jahreshälfte 2016 an Fahrt auf. So wurde die Problematik am Rande der Justizministerkonferenz im Juni 2016 erörtert. In mehreren Landtagen wurden Kleine Anfragen[6] und Anträge[7] gestellt, mit denen die jeweiligen Landesregierungen aufgefordert wurden, über den Bundesrat Gesetzesänderungen zu initiieren. Gleichzeitig berieten wir innerhalb der CDU/CSU-Bundestagfraktion über zügige Lösungen. Im September 2017 fasste der Fraktionsvorstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen Beschluss, der die "Aufhebungslösung" präferierte.

Diesem Grundgedanken entsprach auch ein erster interner Gesetzentwurf, den das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz unter Begleitung einer eigens eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe erarbeitet hatte.[8] Letztlich enthielt er in seiner konkreten Ausgestaltung nicht den gewünschten und geforderten Schutz Minderjähriger vor frühzeitiger Ehe und wurde überwiegend – hinsichtlich seiner Ausnahmetatbestände – als zu weitgehend empfunden.

Das Meinungsbild wandelte sich teilweise von der Aufhebungslösung hin zur Unwirksamkeitslösung innerhalb kurzer Zeit: aus der Befürchtung heraus, bis zu einer rechtskräftigen Eheaufhebung könnten die Minderjährigen in der Schwebezeit nicht effektiv geschützt werden, aber auch weil eine solche Regelung ein deutlicheres politisches Signal bedeutete. Zugleich erhöhte sich der politische Druck, rasch einen Gesetzentwurf einzubringen, zumal sich das Ende der Legislaturperiode abzeichnete. Deswegen habe ich gemeinsam mit einigen Frauen der Koalitionsfraktionen ein eigenes Positionspapier erarbeitet, das für den Lösungsweg der Eheaufhebung warb und weitere Vorgaben beinhaltete, die die bereits beschriebenen Schwächen der "Aufhebungslösung" zu beseitigen vermochten.

Nachdem jedoch eine Einigung auf eine der beiden Lösungen nicht erzielt werden konnte, verständigten sich die Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen nach langen Verhandlungen schließlich auf Eckpunkte eines Gesetzentwurfs. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz legte am 17.2.2017 dem Kabinett einen entsprechenden Entwurf vor.

Dieser sah als vermittelnde Lösung ein "Altersstufenmodell" wie folgt vor: Auslandsehen, die unter Beteiligung von unter 16-Jährigen geschlossen worden sind, gelten als unwirksam. Ehen, bei deren Abschluss der Minderjährige das 16. Lebensjahr bereits vollendet hat, sind zunächst wirksam, können jedoch durch familiengerichtliche Entscheidung aufgehoben werden. Dabei muss das Familiengericht die jeweilige Ehe aufheben, wenn nicht entweder der ursprünglich Minderjährige zwischenzeitlich volljährig geworden ist und die Ehe fortsetzen will (Bestätigung) oder die Aufhebung für ihn eine "schwere Härte" darstellen würde (vor allem bei Suizidgefahr oder schwerer Erkrankung). § 1633 BGB und andere Ausnahmevorschriften für verheiratete Minderjährige entfallen ohne Übergangsfrist – mit der Folge, dass sich Vormundschaften unabhängig von einer wirksamen Ehe des Mündels stets auch auf die tatsächliche Personensorge erstrecken können. Soweit ausländische "U-16-Ehen" in Deutschland als unwirksam behandelt werden, sieht eine Übergangsregelung vor, dass dies nicht für Altfälle (Volljährigkeit des ursprünglich Minderjährigen bei Inkrafttreten der Neuregelung) zu gelten hat und für Ehen, die bis zur Volljährigkeit nur im Ausland geführt worden sind. Auf diese Weise werden insbesondere Langzeitehen von der Unwirksamkeitsfolge ausgenommen.

Damit setzte sich der Gesetzentwurf erwartungsgemäß der Kritik sowohl der Verfechter einer Aufhebungslösung als auch derjenigen einer Unwirksamkeitslösung aus. Die Befürworter des Aufhebungsmodells beanstandeten insbesondere, dass die Chance auf eine Regelung vertan worden sei, die die Besonderheiten des Einzelfalls einbeziehe. Minderjährigen, die vor Vollendung des 16. Lebensjahres verheiratet worden seien, würden pauschal die Vorteile der Ehe vorenthalten, obwohl sie nicht weniger schutzwürdig seien als diejenigen, die im Alter von 16 oder 17 Jahren geheiratet hätten. Auch wurde die Härtefallklausel, nach der die Eheaufhebung im Einzelfall ausgeschlossen ist, als zu eng gefasst kritisiert. Demgegenüber wandten Verfechter der Unwirksamkeitslösung ein, nur diese garantiere ausreichenden Schutz, weil gerade zugewanderte Mädchen oftmals nicht in der Lage seien, eigene Interessen zu vertreten und damit zu einer einzelfallgerechten Entscheidung beizutragen: Ihnen fehle dafür das sprachliche und kulturelle Verständnis, und sie würden – auch unter dem Druck ihrer Familien – in einem gerichtlichen Aufhebungsverfahren stets beteuern, an der Ehe festhalten zu wollen.[9]

Der Gesetzentwurf passierte als mühsam ausgehandelter Kompromiss unverändert Bundestag und Bundesrat. Mit dem Gesetzentwurf nahm der Bundestag eben...

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