Eva Becker

In 18 Mitgliedstaaten der europäischen Gemeinschaft ist man der Meinung, dass Kindern grundsätzlich mit ihrer Geburt Mutter und Vater gleichermaßen zur Verfügung gestellt werden sollen, diese deshalb die gemeinsame elterliche Sorge kraft Gesetzes erlangen, ob sie verheiratet sind oder nicht.

Nun muss der Vergleich mit anderen Rechtsordnungen nicht gleich dazu führen, dass man eigene Vorstellungen vom Kindeswohl und Elternrecht über Bord wirft; aber die Gewissheit, dass die deutsche Rechtsordnung die einzig richtige Lösung zu deren Wahrung bereithält, ist damit schon infrage gestellt.

Nein, es geht hier nicht um Europa. Es geht stattdessen um die Entwicklung des deutschen Kindschaftsrechts:

Die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge im Falle der Scheidung als Regelfall stieß vor zwölf Jahren auf ganz erhebliche Widerstände: Viele waren der festen Überzeugung, dass Folge der Reform in erster Linie die Zunahme streitiger Sorgerechtsverfahren sein werde. Erfahrungswerte anderer Rechtsordnungen mit derartigen Regelungen halfen die Befürchtungen nicht zu mindern. Sorgerechtsverfahren sind tatsächlich häufig schmerzhaft. Aber es gibt wohl niemanden, der sich den Zustand von vor zwölf Jahren zurück wünscht.

Heute stellt sich in Deutschland die Frage, wie viel Mutter und Vater das Kind nicht miteinander verheirateter Eltern braucht.

Verfolgt man die politische Debatte um die Folgen der Entscheidung des EGMR und des BVerfG, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese sich im Wesentlichen auf das verfassungsrechtlich gebotene Minimum beschränkt. Der Gestaltungsspielraum ist allerdings weiter und eröffnete die Möglichkeit einer Diskussion über das gesellschaftlich Wünschenswerte.

So könnte neben die Erwägungen, was man der Mutter an Rechtsverlust zumuten und dem Vater an Rechten (und zugleich auch Pflichten) einräumen kann, die Überlegung treten, ob veränderte Lebensverhältnisse und Rahmenbedingungen der Lebenswelten von Eltern und Kindern, um die es ja bei dieser Debatte vorrangig gehen sollte, Einfluss auf das neu zu gestaltende Recht nehmen sollten: Weg vom "One-Night-Stand" hin zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft als Regelfall, aus der Kinder geboren werden? Weg von der mit dem Makel des Ledigseins behafteten hin zur eigenverantwortlich alleinstehenden und berufstätigen Mutter als Leitbild der gesetzlichen Regelung? Diesmal könnten wir womöglich auch unsere 18 europäischen Nachbarn mit mehr Zutrauen in eine der Entscheidungsfindung dienlichen Antwort befragen, welche Erfahrungen sie, also deren Eltern und Kinder, mit ihren Regelungen gemacht haben, und das Ergebnis in unsere Überlegungen einfließen lassen. Eine Bereicherung der Debatte wäre das allemal.

Und der Mühe einer umfassenden Debatte wird man sich um des Wohlbefindens der Kinder willen schon unterziehen müssen. Lassen Sie uns gemeinsam hieran teilnehmen und unsere Erfahrungen einbringen, bevor der Gesetzgeber seine Arbeit beendet hat. Wir laden Sie hierzu herzlich ein.

Eva Becker, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht, Berlin

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