a) Fachrechtliche Grundlagen (§§ 1666, 1666a BGB)

Sorgerechtsentscheidungen auf der Grundlage von § 1666 BGB (i.V.m. § 1666a BGB) können auf der Rechtsfolgenebene nach § 1666 Abs. 3 BGB mit Eingriffen in die elterliche Sorge von höchst unterschiedlicher Intensität einhergehen; das Spektrum reicht von der Auflage (§ 1666 Abs. 3 Nr. 1, 2 BGB) bis zum teilweisen oder vollständigen Entzug der elterlichen Sorge (§ 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB) mit dem Ziel der Fremdunterbringung des Kindes. Abhängig von der jeweiligen Eingriffsintensität gelangen für die verfassungsrechtliche Prüfung der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen unterschiedliche Maßstäbe zur Anwendung, was mit einer unterschiedlich intensiven Kontrolldichte seitens des Bundesverfassungsgerichts einhergeht.

b) Verfassungsrechtliche Grundlagen

Art. 6 Abs. 2 GG betrifft das Elternrecht und die Elternpflicht: "Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft." Besonderen Schutz gewährt das Grundgesetz nach Art. 6 Abs. 3 GG bei fachgerichtlichen Entscheidungen, die mit der Trennung des Kindes von der Familie einhergehen: "Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur aufgrund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen."

Umgekehrt hat das Kind allerdings einen Anspruch aus Art. 2 Abs. 1 GG (Recht auf freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit), Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) i.V.m. Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG auf Schutz durch den Staat, wenn Eltern in einer das Wohl des Kindes bedrohenden Weise ihrer Erziehungsverantwortung nicht nachkommen.[23] Im Einzelfall können dieser Schutzanspruch des Kindes einerseits und das durch Art. 6 Abs. 2 S 1 GG – gegebenenfalls verstärkt durch die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 3 GG gewährleistete Elternrecht andererseits miteinander in Konflikt stehen. Es ist dann Sache der Fachgerichtsbarkeit anhand des maßgeblichen Fachrechts (insb. §§ 1666, 1666a BGB) unter Berücksichtigung der möglicherweise kollidierenden Grundrechtsgewährleistungen eine Sorgerechtsentscheidung zu treffen. Art und Intensität des mit der fachgerichtlichen Entscheidung verbundenen Eingriffs in die betroffenen Grundrechtspositionen bestimmen den anzuwendenden verfassungsrechtlichen Maßstab.

[23] Vgl. dazu aus jüngerer Zeit etwa BVerfG, Beschl. d. 1. Kammer des Ersten Senats v. 12.2.2021 – 1 BvR 1780/20, Rn 26 m.w.N.

c) Maßstab der verfassungsrechtlichen Prüfung

Handelt es sich bei der fachgerichtlichen Entscheidung um einen Eingriff in das Elternrecht ohne Trennung des Kindes von der Familie, ergibt sich der Maßstab allein aus Art. 6 Abs. 2 GG; es erfolgt nur eine zurückgenommene verfassungsrechtliche Prüfung. Ist mit dem Eingriff in das Elternrecht die Trennung des Kindes von der Familie verbunden, unterliegt die Maßnahmen einer strengen verfassungsrechtlichen Prüfung (nachfolgend bb). Trennung des Kindes von der Familie ist Wegnahme von den Eltern zum Zwecke staatliche Einflussnahme auf die Erziehung.[24] Eine solche Trennung des Kindes von der Familie liegt nicht vor, wenn das Kind bei (mindestens) einem Elternteil verbleibt. Insbesondere Entscheidungen nach § 1671 BGB sowie solche zum Umgangsrecht werden daher lediglich nach dem zurückgenommenen, auf die Frage, ob das Fachgericht die Bedeutung des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG und der Reichweite des Schutzbereichs grundlegend verkannt hat (nachfolgend aa), beschränkten Maßstab verfassungsrechtlich überprüft. Gleiches gilt regelmäßig für den Entzug anderer Teile der elterlichen Sorge als das Aufenthaltsbestimmungsrecht.

[24] Vgl. BVerfGE 31, 194 <210>; 76, 1 <48>; st. Rspr.

aa) Maßstab nach Art. 6 Abs. 2 GG (Maßnahmen ohne Trennung von der Familie)

Eine dem Elternrecht genügende Entscheidung kann nur aufgrund der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls getroffen werden, bei der allerdings auch zu berücksichtigen ist, dass die Abwägung nicht an einer Sanktion des Fehlverhaltens eines Elternteils, sondern vorrangig am Kindeswohl zu orientieren ist. Das Verfahren muss grundsätzlich geeignet sein, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen. Die Fachgerichte sind danach verfassungsrechtlich nicht stets gehalten, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Wenn sie aber von der Beiziehung eines Sachverständigen absehen, müssen sie anderweitig über eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage verfügen.

Zitat

"Grundsätzlich ist die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und die Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Ihm obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereiches beruhen...

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