Die Situation in der DDR war durch eine ausgesprochen hohe Frauenerwerbsquote gekennzeichnet. Diese lag zuletzt bei annähernd etwa 90 % aller erwerbsfähigen Frauen.[7] In der familienrechtlichen Literatur der DDR wurde diese Tatsache – vielfach ideologisch unterfüttert – stets als ein besonders wichtiges, die gesetzlichen Regelungen des Unterhaltsrechts prägendes Merkmal breit herausgestrichen:[8] Die Aufgabe der Gerichte im Bereich des nachehelichen Unterhaltsrechts wurde, jedenfalls den amtlichen Stellungnahmen in der DDR zufolge, insbesondere darin gesehen, "das Bestreben der Frau zur Ausübung einer vollen Berufstätigkeit zu unterstützen".[9] Tatsächlich ging es aber wohl mehr darum, über das Unterhaltsrecht die Eingliederung von Frauen in das Berufsleben zu erzwingen: Berichtet wird das jedenfalls von Justizrat Karl-Heinz Eberhardt, bis zuletzt leitender Mitarbeiter in der Familienrechtsabteilung des Ministeriums der Justiz der DDR. Er räumt ein, dass es sich hierbei um eine unter Richtern und anderen Juristen der DDR verbreitete Tendenz gehandelt habe, die entgegen dem geschriebenem Recht und der Rechtsprechung des Obersten Gerichts der DDR bis zur Wiedervereinigung vorgeherrscht haben soll.[10] Das Interesse, den Arbeitskräftebedarf in der sozialistischen Wirtschaft zu decken und Frauen im Arbeitsleben zu halten, galt in der DDR von Anbeginn an als ein gewichtiges Moment bei der Ausgestaltung des Unterhaltsrechts.[11]

Unabhängig von der politischen Bewertung liegt die Bedeutung der Erwerbsquote für das Unterhaltsrecht jedenfalls auf der Hand: In dem Maße, wie der Unterhaltsberechtigte in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit sicherzustellen, entfällt die Abhängigkeit von Unterhaltsleistungen des früheren Partners.[12]

[7] Vgl. Adlerstein/Wagenitz, Nachehelicher Unterhalt und Versorgungsausgleich in den neuen Bundesländern, FamRZ 1990, 1300: Danach standen in der DDR im Jahr 1985 etwa 86 % der erwerbsfähigen Frauen im Arbeitsleben, wohingegen in der Bundesrepublik im gleichen Zeitraum nur ca. 51 % der Frauen erwerbstätig waren. S. weiter Grandke/Kuhrig/Weise, Zur Situation und zur Entwicklung der Familien in der DDR, NJ 1965, 231: Im Jahr 1963 waren in der DDR 68,8 % aller Frauen im arbeitsfähigen Alter berufstätig.
[8] Vgl. FGB-Kommentar/Seifert (Fn 5), § 29 Anm. 1; Familienrecht/Grandke (Fn 5), S. 19 ff. (23 f.) sowie Eberhardt, Die Novellierung des Familiengesetzbuches der DDR, FamRZ 1990, 917 (917 Fn 3 und Text); Grandke/Gysi/Orth/Rieger/Schreiter, Die Wirksamkeit der Bestimmungen des FGB über Familienaufwand und Unterhalt, NJ 1977, 196 (196); Heinrich/Göldner/Schilde, Die Rechtsprechung der Instanzgerichte in Familiensachen, NJ 1961, 815 (815) ("In dem Grade nämlich, in dem sich bei unseren Bürgern der das Leben beherrschende Grundsatz durchzusetzen beginnt, dass die Ausübung einer gesellschaftlich nützlichen Tätigkeit [ … ] die Pflicht eines jeden einzelnen [ … ], werden die Probleme auf dem Gebiet des Unterhaltsrechts der Ehegatten mehr und mehr an Bedeutung verlieren.").
[9] Vgl. Bericht des Präsidiums des Obersten Gerichts: Fragen des Unterhalts der Frau im Zusammenhang mit der Auflösung einer Ehe, NJ 1975, 292 (292).
[10] Vgl. Eberhardt, in: Th. Ramm/Grandke (Hrsg.), Zur Familienrechtspolitik nach der Wiedervereinigung, 1995, 183 (217).
[11] Vgl. Adlerstein/Wagenitz, FamRZ 1990, 1300 (1300); Zieger, Die Entwicklung des Familienrechts in der DDR mit Berlin (Ost), in: Das Familienrecht in beiden deutschen Staaten (1983), 41 (50 f., 66).
[12] Vgl. Diederichsen, in: Th. Ramm/Grandke (Hrsg.), Zur Familienrechtspolitik nach der Wiedervereinigung, 1995, 99 (99 f.); Familienrecht/Ansorg/Grandke/Rieger (Fn 5), S. 287 f.

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