Die vorstehende Entscheidung des BGH betrifft den Bezug von Grundsicherungsleistungen nach den §§ 41 ff. SGB XII und seine Auswirkungen auf das Unterhaltsrecht einerseits, den Elternunterhalt bei mehreren haftenden Kindern andererseits.

Bedürftigkeit des Elternteils

Ein Elternteil muss sich auf seinen Bedarf sämtliche erzielten und zumutbar erzielbaren Einkünfte anrechnen lassen. Für die Zurechnung fiktiver Einkünfte hat dies der BGH soeben für den Bereich unterlassener Leistungen aus der Pflegeversicherung entschieden: Wenn es schuldhaft verabsäumt wurde, ausreichenden Pflegeversicherungsschutz in zumutbarer Weise zu schaffen, muss sich der Pflegebedürftige fiktive Leistungen der Pflegeversicherung als Einkommen zurechnen lassen.[1]

Die Zurechnung fiktiver Einkünfte kommt aber nur in Betracht, soweit es sich tatsächlich um unterhaltsrechtliche bedarfsdeckende Einkünfte handelt. Subsidiäre Einkünfte wie Sozialhilfeleistungen, die nach dem Dritten oder Fünften bis Neunten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch für grundsicherungsberechtigte Personen ergänzend erbracht werden, können nicht unterhaltsrechtlich fiktiv zugerechnet werden. Denn sie sollen nur subsidiär, also als Ersatz für den aktuell nicht gezahlten Unterhalt fließen. Der unterhaltsrechtliche Bedarf wird davon nicht beeinflusst; allerdings kann dem Unterhaltsberechtigten insoweit die Aktivlegitimation aufgrund eines Forderungsübergangs nach den §§ 93 f. SGB XII fehlen. Gleiches gilt auch für den Bereich der Grundsicherung nach dem SGB II (sog. ALG II, Hartz IV), soweit hier der Anspruchsübergang nach § 33 Abs. 1 SGB II in Betracht kommt.

Eine Besonderheit bilden dagegen die hier betroffenen Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung nach den §§ 4143 SGB XII, deren Umfang in § 42 SGB XII i.V.m. §§ 28 ff. SGB XII geregelt ist. Sie bezwecken die Sicherstellung einer würdigen und unabhängigen Existenz des Bedürftigen und – bezogen auf den Elternunterhalt – insbesondere die Vermeidung einer verschämten Altersarmut. Leistungen der Grundsicherung sind im Verwandtenunterhalt (Kindes-/Elternunterhalt) gem. § 43 Abs. 2 S. 1 SGB XII auf den Unterhaltsbedarf eines Leistungsempfängers anzurechnen. In diesen privilegierten Unterhaltsbeziehungen sind Leistungen der Grundsicherung als unterhaltsrechtliches Einkommen anzusehen und reduzieren den unterhaltsrechtlichen Bedarf des Leistungsempfängers, ohne dass es darauf ankommt, ob sie zu Recht oder zu Unrecht bewilligt worden sind.[2] Voraussetzung dieser Privilegierung ist allerdings, dass der Unterhaltspflichtige kein Einkommen über 100.000 EUR im Jahr erzielt. Wird diese Grenze überschritten, entfällt die Privilegierung und die Grundsicherung bleibt nachrangig (vgl. dazu noch unter II.).

Beantragt der Unterhaltsberechtigte diese Leistungen nicht, führt dies zur fiktiven Anrechnung dieser Leistungen auf seinen Unterhaltsbedarf, sofern ihm wegen der Nichtinanspruchnahme dieser Grundsicherung ein Obliegenheitsverstoß anzulasten ist.[3] Hat dagegen der Unterhaltsberechtigte einen Antrag auf Leistungsbezug gestellt, so kommt eine fiktive Anrechnung von Grundsicherungsleistungen grds. nicht in Betracht.[4] Problematisch ist dann, welche Pflichten den Unterhaltsberechtigten treffen, wenn sein Antrag abgelehnt wird: Muss er Rechtsmittel einlegen? Eine generelle unterhaltsrechtliche Verpflichtung, von sich aus Rechtsbehelfe einzulegen, verneint der BGH hier; anderes kann gelten, wenn der Bescheid erkennbar unrichtig ist,[5] wovon aber nur in Ausnahmefällen ausgegangen werden kann und wofür hier keine Hinweise bestanden.

Haftungsquote mehrerer Kinder für den Elternunterhalt

Neben dem engen Verwandtschaftsverhältnis muss das Gesamteinkommen des unterhaltsverpflichteten Kindes/Elternteils unterhalb 100.000 EUR im Jahr betragen, um die Privilegierung (siehe näher unter I.) auszulösen, § 43 Abs. 2 S. 1 SGB XII. Erfasst wird das Gesamteinkommen i.S.d. Einkommensteuerrechts (§ 16 SGB IV). Es wird gesetzlich (widerlegbar) vermutet, dass die Einkommensgrenze von jährlich 100.000 EUR nicht überschritten wird, § 43 Abs. 2 S. 2 SGB XII.

Sind mehrere Kinder vorhanden, haften diese für den Unterhaltsanspruch ihrer Eltern anteilig nach ihren Einkünften, § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB. Bei mehreren Unterhaltspflichtigen gilt die zuvor dargestellte 100.000 EUR-Grenze für jedes Kind einzeln, es erfolgt nicht etwa die Addition der Einkünfte aller unterhaltspflichtigen Kinder.[6] Überschreitet dagegen ein Kind mit seinen Einkünften die 100.000 EUR-Grenze, lässt dies die Privilegierung im Verhältnis zu allen unterhaltspflichtigen Kindern entfallen. Der Unterhaltsanspruch wird dann wieder vorrangig vor der Grundsicherung, die nur subsidiär gewährt wird. Soweit dazu andere Auffassungen – insbesondere auch der Vorinstanz des OLG Hamm[7] – vertreten worden sind, erteilt dem der BGH insbesondere angesichts des klaren Gesetzeswortlauts[8] eine Absage. Damit bleibt es (zunächst) bei der anteiligen Haftung aller Kinder für den Elternunterha...

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