Von Bedeutung sind zunächst die Ausführungen des BVerfG zu der erforderlichen Prüfung der Gerichte, inwieweit die Kindeswohlgefährdung durch mildere Maßnahmen als durch die Trennung des Kindes von den Eltern hätte abgewendet werden können. Dabei ging es im vorliegenden Fall um die Frage, welchen Einfluss der Umstand hat, dass das Jugendamt nicht bereit war, die Eltern durch verschiedene Hilfen (z.B. Familienhilfe, Elterntraining, Förderung der Sprachkompetenz der Mutter, Intensivierung und Verselbstständigung des Umgangs) so in ihrer Erziehungsfähigkeit zu unterstützen, dass eine Rückführung der Kinder in den elterlichen Haushalt ermöglicht worden wäre, weil es diese Maßnahmen nicht für ausreichend bzw. Erfolg versprechend erachtete.

Bereits in seiner Entscheidung vom 24.3.2014 hatte das BVerfG zu Recht darauf hingewiesen, dass die Familiengerichte bei Anwendung der §§ 1666, 1666a BGB nicht an die Einschätzung des Jugendamtes gebunden sind, ob statt einer Trennung des Kindes von den Eltern Hilfen zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung in Betracht kommen, sondern dass sie dies eigenständig prüfen müssen.[17] Darüber hinaus hatte das Gericht klargestellt, dass auch eine vom Jugendamt abgelehnte Hilfsmaßnahme ein geeignetes milderes Mittel sein kann, sie müsse notfalls im Wege der verwaltungsgerichtlichen Klage durchgesetzt werden. Wie dies aber bei nicht sorgeberechtigten Eltern umgesetzt oder wie der Konflikt zwischen Familiengericht und Jugendamt sonst aufgelöst werden soll, ließ das BVerfG offen.

In der hier besprochenen Entscheidung hat das BVerfG diese Auffassung nochmals bestätigt und weitergehend ausgeführt, das OLG habe davon ausgehen können, dass das Jugendamt im Fall einer gerichtlich vorgegebenen Rückkehrperspektive die Gewährung öffentlicher Hilfen entsprechend "effektuieren" würde. Gerade im vorliegenden Fall erscheint es jedoch sehr zweifelhaft, ob sich das Jugendamt bei einer noch nachdrücklicheren Vorgabe des OLG tatsächlich über den Ende 2012 unternommenen Versuch eines Erziehungstrainings hinaus hätte motivieren lassen, ernsthaft weitere Maßnahmen zur Förderung der Rückkehr der Kinder zu ergreifen. Das Amtsgericht war damit bereits im Mai 2011 gescheitert, obwohl es unter Hinweis auf ein eingeholtes Sachverständigengutachten seine Auffassung deutlich gemacht hatte, dass eine Kindeswohlgefährdung durch die Eltern nicht (mehr) besteht. Das Jugendamt weigerte sich jedoch letztlich seit November 2010, effektive Maßnahmen zur Rückführung der Kinder zu bewilligen und zu unterstützen. Zu diesem Zeitpunkt waren seitens der Eltern bzw. ihrer Unterstützer bereits Printmedien (u.a. BILD-Zeitung) sowie Rundfunk und Fernsehen involviert worden, die insbesondere das Verhalten des Jugendamtes kritisierten; zudem waren (neben einem Befangenheitsantrag gegen den Familienrichter) gegen die fallbearbeitenden Jugendamtsmitarbeiter (erfolglos) Dienstaufsichtsbeschwerden erhoben worden. Das Jugendamt ließ sich im familiengerichtlichen Verfahren sogar durch einen Rechtsanwalt vertreten.

Für die Praxis wären daher klarere und weitreichendere Ausführungen des BVerfG wünschenswert gewesen, wie der (in insgesamt drei der sieben beanstandeten OLG-Entscheidungen) aufgetretene Konflikt zwischen Familiengericht und Jugendamt aus verfassungsrechtlicher Sicht zu lösen ist.[18] Die Suche nach einer Lösung sollte zunächst dort beginnen, wo aus Sicht des BVerfG das Problem liegt, nämlich bei dem Jugendamt, das die Voraussetzungen für ergänzende Hilfen nicht für gegeben hielt. Rechtsgrundlage für das Handeln des Jugendamtes ist das im SGB VIII geregelte Jugendhilferecht. Die Voraussetzungen für die hier in Frage kommenden Hilfen zur Erziehung finden sich in den §§ 27 ff. SGB VIII. Nach der gesetzlichen Systematik ist die Fremdunterbringung eines Kindes eine solche Hilfe zur Erziehung, sei es in einer Pflegestelle (§ 33 SGB VIII) oder in einer Jugendhilfeeinrichtung (§ 34 SGB VIII). Wenn die Jugendämter – wie auch im vorliegenden Verfahren – gegenüber den Eltern und dem Gericht erklären, dass daneben weitere Hilfen zur Erziehung nicht in Betracht kommen, ist dies insofern richtig, als für die Unterstützung der Eltern zur Rückführung des Kindes nicht die §§ 2732 SGB VIII maßgeblich sind, sondern § 37 Abs. 1 Satz 2 bis 4 SGB VIII. Danach sollen die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie durch Beratung und Unterstützung innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen vertretbaren Zeitraums (!) so weit verbessert werden, dass die Eltern das Kind oder den Jugendlichen wieder selbst erziehen können. Während dieser Zeit soll durch begleitende Beratung und Unterstützung der Familien darauf hingewirkt werden, dass die Beziehung des Kindes oder Jugendlichen zur Herkunftsfamilie gefördert wird. Ist eine nachhaltige Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb dieses Zeitraums nicht erreichbar, so soll mit den beteiligten Personen eine andere, dem Wohl des Kindes oder Jugendliche...

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