FamFG § 114 Abs. 1 § 78 Abs. 2

Im Umgangsverfahren ist es geboten, einen Rechtsanwalt beizuordnen, wenn die Sachlage oder die Rechtslage so kompliziert erscheint, dass eine bemittelte, kostenbewusste Partei sich veranlasst gesehen hätte, einen Anwalt zu mandatieren.

(Leitsatz des Einsenders)

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.4.2010 – II-6 WF 87/10 (AG Wuppertal)

Gründe: I.

Das AG hat der Antragstellerin für das von ihr initiierte Umgangsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt, aber die Beiordnung eines Rechtsanwalts abgelehnt, weil die Sach- und Rechtslage nicht so schwierig sei, dass die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheine. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde.

II. Die gem. § 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 127 ZPO zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. In Umgangssachen, in denen nach § 114 Abs. 1 FamFG die Beteiligten sich nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen, ist die Beiordnung nur dann geboten, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint, § 78 Abs. 2 FamFG. Das ist auf Seiten der Antragstellerin der Fall. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist regelmäßig geboten, wenn auch eine bemittelte Partei, die über keine besonderen familienrechtlichen Vorkenntnisse verfügt und sich nach Trennung oder Scheidung in einer schwierigen Lebensphase befindet, vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragt hätte (Senat, Beschl. v. 16.2.2010 – II-6 WF 36/10). Dabei reicht es aus, wenn entweder die Sach- oder Rechtslage so kompliziert erscheint, dass eine Partei, die die Verfahrenskosten selbst aufbringen muss, sich veranlasst gesehen hätte, einen Anwalt zu mandatieren. Denn die Schwierigkeiten liegen in Kindschaftssachen weit häufiger auf tatsächlichem als auf rechtlichem Gebiet. Wollte man nebeneinander tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten verlangen, wäre eine Beiordnung in vielen Fällen ausgeschlossen. Dass der Gesetzgeber dies gewollt hätte, ist aber den Gesetzgebungsmaterialien nicht zu entnehmen (OLG Düsseldorf – 8. Senat für Familiensachen – FamRZ 2010, 580, 581). Erhebliche tatsächliche Schwierigkeiten sind auch im Streitfall gegeben. Zwischen den Beteiligten besteht zwar Einvernehmen darüber, dass der Antragsgegner, der aus der Ehewohnung ausgezogen ist und sich einer anderen Partnerin zugewandt hat, weiterhin Umgang mit den drei gemeinsamen Kindern pflegen soll. Darüber, in welcher Form und in welchem zeitlichen Rahmen dies geschehen soll, bestehen jedoch nicht nur bei den Eltern, sondern auch bei den beiden älteren Kindern kontroverse Vorstellungen, die auch im Rahmen der mittlerweile mit der Diakonie geführten Gespräche nicht überwunden werden konnten. Zu alledem kommt hinzu, dass die aus Brasilien stammende und der deutschen Sprache nur unzureichend mächtige Antragstellerin sich dem Antragsgegner intellektuell deutlich unterlegen fühlt.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 127 Abs. 4 ZPO.

 
Anmerkung

Fiskalische Erwägungen haben dazu geführt, die PKH/VKH wie auch die Anwaltsbeiordnung im FamFG "herunterzufahren".[1] Schon der RegE hatte gegenüber der ZPO-Regelung die Voraussetzungen für die Gewährung von PKH/VKH sowie die Beiordnung eines Rechtsanwalts deutlich angehoben. Auf Drängen des Bundesrates sind diese Voraussetzungen im Gesetzgebungsverfahren in einschneidender Weise weiter erhöht worden.[2]  Durch ein Prozesskostenhilfebegrenzungsgesetz, wozu der Bundesrat am 4.3.2010 einen Entwurf eingereicht hat,[3]  sollen die Kosten der PKH/VKH jetzt weiter reduziert werden.[4]

§ 78 FamFG wurde gegenüber § 121 ZPO in zweierlei Hinsicht deutlich enger gefasst:

  • Während nach § 121 Abs. 2, 1. Alt. ZPO die Vertretung durch einen Rechtsanwalt "erforderlich" erscheinen muss, muss nach § 78 Abs. 2 FamFG die anwaltliche Vertretung "wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage" erforderlich erscheinen.
  • Die 2. Alt. des § 121 Abs. 2 ZPO – "oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist" (Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit) – fällt in § 78 Abs. 2 FamFG vollständig weg.

Wie in der Begründung zu dem Gesetz zu § 78 Abs. 2 FamFG ausgeführt wird,[5]  ist für die Beiordnung eines Rechtsanwalts ausschlaggebend "ausschließlich" die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage. Weiter wird festgehalten: Die Anwaltsbeiordnung sei nach objektiven Kriterien zu beurteilen; die Schwere des Eingriffs in die Rechte eines Beteiligten erfülle die Voraussetzungen für die Anwaltsbeiordnung auf Basis der VKH regelmäßig nicht. Dabei spricht die Begründung von "engen Voraussetzungen" für die Beiordnung eines Rechtsanwalts. Besonders eingehend wird sodann begründet, warum die 2. Alt. des § 121 Abs. 2 ZPO sich nicht in § 78 Abs. 2 FamFG wiederfindet.

In Literatur und Rechtsprechung wird gegen solche engen Voraussetzungen zunehmend angerannt. Hierzu werden bei Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG[6] verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht[7]  –...

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