§ 1626a Abs. 2 S. 2 BGB regelt, dass das Familiengericht die elterliche Sorge den Eltern gemeinsam überträgt, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. Aus dieser gesetzlichen Regelung folgt eindeutig, und so ist es in der Rechtsprechung auch nicht umstritten, dass das Familiengericht lediglich eine negative Kindeswohlprüfung vorzunehmen hat. Es folgt aus dieser Regelung aber noch nicht, in welchem Verhältnis die gemeinsame elterliche Sorge zur Alleinsorge eines Elternteiles steht. Die gesetzliche Regelung gibt nichts dafür her, ob der Gesetzgeber einer der beiden Sorgearten einen Vorrang einräumen wollte. § 1626a Abs. 2 S. 2 BGB bestimmt eine gesetzliche Vermutung dahingehend, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht, wenn der Elternteil keine Gründe vorträgt, die der gemeinsamen elterlichen Sorge widersprechen könnten und solche Gründe auch nicht ersichtlich sind. Hier ist also ein Regel-Ausnahme-Verhältnis konstituiert, welches gleichzeitig mit einer verfahrensrechtlichen Komponente verbunden ist. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis ist nämlich nur dann gegeben, wenn Vortrag eines Elternteiles oder Kenntnis des Gerichtes einer Kindeswohldienlichkeit nicht widersprechen.

Daraus haben nun einzelne Obergerichte geschlossen, dass der Gesetzgeber insgesamt der gemeinsamen elterlichen Sorge den Vorrang vor der Alleinsorge eines Elternteiles einräumen wollte, so das Brandenburgische OLG,[7] der 10. Senat des OLG Celle.[8] Die Literatur hat sich dieser Auffassung teilweise angeschlossen.[9] Das ist aber nicht der Fall. Die Vermutung zugunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge greift nur dann ein, wenn sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl widerspricht.[10] Das ist identisch mit den Fällen, in denen das vereinfachte Verfahren gemäß § 155 Abs. 2 FamFG angewendet werden darf.[11] Der Gesetzgeber hat sich bewusst dafür entschieden, die gesetzliche Vermutung und die damit verbundenen Beweiserleichterungen nicht generell einzuführen. Das gilt sowohl für die Eltern, die nicht miteinander verheiratet sind, als auch für Eltern, die miteinander verheiratet sind oder waren. Den Gründen zu § 1626a BGB lässt sich insoweit lediglich entnehmen, dass der Gesetzgeber die gemeinsame elterliche Sorge stärken wollte. Der Gesetzgeber verleiht seiner Überzeugung Ausdruck, dass grundsätzlich die gemeinsame Verantwortungsübernahme für ein Kind in seinem Interesse liegt. Die Vermutung soll aber in erster Linie dazu dienen, in den Fällen, in denen keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl widerspricht, die Ermittlungsmöglichkeiten des Gerichtes einzuschränken und auf diese Art und Weise ein zügiges Verfahren zu gewährleisten.[12] Gleichzeitig ist den Gründen auch die Beantwortung der Frage zu entnehmen, ob nun ein unterschiedlicher Maßstab anzusetzen ist für eheliche Kinder und nichteheliche Kinder. Im Rahmen des § 1671 BGB bleibt es insgesamt bei der doppelten Kindeswohlprüfung. Zunächst ist zu prüfen, ob die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl entspricht, und im zweiten Schritt ist zu prüfen, auf welchen Elternteil die elterliche Sorge zu übertragen ist. Entsprechend wird einem Antrag einer Mutter, die unmittelbar nach einem erfolgreichen Antrag des Vaters auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge auf Übertragung der Alleinsorge auf sie anträgt, kein Erfolg beschieden sein, wenn nicht in der Zwischenzeit das Scheitern der gemeinsamen Elternverantwortung festzustellen ist.[13] Daraus ist nun nicht zu schließen, dass in allen Fällen eines regulären Verfahrens die Vermutung des § 1626 Abs. 2 S. 2 BGB nicht eingreifen kann. Die verfahrensrechtliche Anordnung des vereinfachten Verfahrens ist insoweit von der materiell-rechtlichen Prüfung zu unterscheiden. Das vereinfachte Verfahren enthält neben der Begrenzung auf die Schriftlichkeit eine Verkürzung der Rechte der Eltern dadurch, dass eine Anhörung der Eltern und des Jugendamtes unterbleibt. Im Hinblick auf den Anspruch der Eltern auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 GG dürfen die Anforderungen an den Vortrag, der zum Übergang in das reguläre Verfahren geführt werden muss, nicht überspannt werden.[14] Das Gericht ist im regulären Verfahren nicht daran gehindert Feststellungen dazu zu treffen, dass keine Gründe ersichtlich sind, die der gemeinsamen elterlichen Sorge widersprechen könnten. Damit wäre der Weg für die Anwendung der gesetzlichen Vermutung offen. Allerdings dürfte diese Diskussion doch eher theoretisch sein, denn wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die vorgebrachten Gründe der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht widersprechen können, dann kann auch die Feststellung getroffen werden, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht. Im normalen Verfahren gilt keine Einschränkung des Amtsermittlungsgrundsatzes. Der Meinung, dass grundsätzlich ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zu Gunsten der gemeinsamen ...

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