(1) Das neue Unterhaltsrecht verlangt für einen Anspruch aus § 1570 Abs. 1 Satz 2, 3 BGB die substantiierte Darlegung des betreuenden Elternteils, dass die konkrete Betreuungssituation oder eine besondere Betreuungsbedürftigkeit des Kindes eine vollschichtige Erwerbstätigkeit nicht zulässt. Es setzt sich damit, der Gesetzesbegründung folgend, klar von dem starren Schematismus des früheren Altersphasenmodells ab, das auch nicht in abgewandelter Form weiter angewandt werden kann. Es kommt eben nach dem Willen des Gesetzgebers gerade nicht – rein schematisch und abstrakt – allein auf das Alter des Kindes an, sondern auf die gesamten Umstände des Einzelfalles: also die konkrete Betreuungssituation mit den am Ort objektiv gegebenen Möglichkeiten und die individuellen Belange dieses betroffenen Kindes. Dabei spricht die Gesetzesbegründung in der "Formulierungshilfe" des BMJ für den Rechtsausschuss eine eindeutige Sprache:

"Die "Belange des Kindes" sind immer dann berührt, wenn das Kind in besonderem Maße betreuungsbedürftig ist. Insoweit ist eine Orientierung an der bisherigen Rechtsprechung zu den "kindbezogenen Belangen" bei § 1615l Abs. 2 Satz 2 BGB möglich."

Es wird also auf eine "besondere" Betreuungsbedürftigkeit des Kindes abgestellt und damit gerade nicht auf die "normale" Betreuungsbedürftigkeit eines altersgemäß entwickelten Kindes. Verwiesen wird außerdem auf die – sehr strenge – bisherige Rechtsprechung zu den "kindbezogenen Belangen" bei § 1615l Abs. 2 Satz 2 BGB a.F. – und gerade nicht auf das alte Altersphasenmodell zu § 1570 a.F.

In der Praxis ist die Entscheidung unbestreitbar arbeitsaufwändiger und mühevoller als der früher nur erforderliche schlichte Blick auf das Geburtsdatum des Kindes. Aber der Wunsch nach Vereinfachung und Arbeitserleichterung für die Familienrechtler darf nicht dazu führen, gesetzliche Vorgaben schlichtweg zu ignorieren. Einer Fortschreibung des Altersphasenmodells wird in dieser Entscheidung daher zutreffend eine deutliche Absage erteilt.[1] Für den Anwalt der Unterhaltsberechtigten ist es daher höchst riskant, auf die Akzeptanz eines modifizierten Altersphasenmodells zu vertrauen und konkreten Sachvortrag zu den vom Gesetz geforderten Gesichtspunkten zu unterlassen, denn die Darlegungs- und Beweislast für diese anspruchsbegründenden Tatsachen trägt der betreuende Elternteil.[2]

(2) Das OLG bejaht die Frage, ob die Rechtsprechung des BVerfG zum Splittingvorteil aus der neuen Ehe auch zum neuen Unterhaltsrecht noch gilt. Bedenken hiergegen meldet dagegen das OLG Braunschweig an.[3]

(3) Das OLG stuft wegen des unterschrittenen Bedarfskontrollbetrags das Kind bei der Mangelfallberechnung in die unterste Stufe der Düsseldorfer Tabelle ein. Dies entspricht zwar der h.M.[4] Allerdings ist das neue Unterhaltsrecht angetreten, den Vorrang für die Kinder sicherzustellen, und sollte mit dem Ziel der Vereinfachung des Unterhaltsrechtes und der "Abkehr vom Gießkannenprinzip" vor allem die komplizierte Mangelfallberechnung vermeiden.[5] Es gibt daher Veranlassung, diese Herabstufung kritisch zu überdenken. Man sollte sich vor dem Trugschluss hüten, ein Ergebnis werde schon deshalb gerechter, weil es durch eine kompliziertere Berechnung erzielt worden ist. Bereits die Basiszahlen einer Unterhaltsberechnung beruhen auf der schlichten – und oft wenig realistischen – Annahme, die festgestellten Einkünfte der letzten 12 Monate werden auch in Zukunft erzielt – wenn man nicht sogar sofort mit geschätzten hypothetischen Einkünften arbeitet. Soweit Ehegattenunterhaltsansprüche betroffen sind, beruhen deren rechtliche Grundlagen und damit auch die Festsetzung der "erzielbaren Einkünfte" auf mehrfachen Billigkeitserwägungen. Warum dann weiterhin darauf bestanden wird, am Ende eines solchen nicht allzu präzisen Vorganges durch Umstufungen und arbeitsintensive Neuberechnungen eine mathematische (Schein-)Genauigkeit zu erzeugen, ist aus der Sicht eines Praktikers nur schwer nachzuvollziehen.

(4) Die inzwischen überwiegende Zahl von Entscheidungen geht von einer ca. 6-monatigen Übergangs- und Eingewöhnungsfrist nach Inkrafttreten des neuen Rechts aus.[6]

Dr. Wolfram Viefhues, Weiterer Aufsicht führender Richter am Amtsgericht Oberhausen/Rld.

[1] So auch OLG Celle NJW 2008, 1456 = FamRZ 2008, 997 = FPR 2008, 319 mit Anm. Peschel-Gutzeit = ZFE 2008, 275; Hollinger, juriskonkret, Das neue Unterhaltsrecht, § 1570 BGB Rn 83; Schilling, FPR 2008, 27, 29; Menne, FamRB 2008, 110, 116; Hamm, Strategien im Unterhaltsrecht, 2008, Rn 3/93; Schumann, FF 2007, 227, 228; Kemper, Das neue Unterhaltsrecht 2008, Rn 161; Schnitzler, FF 2008, 175, 176; Grundmann, FF 2008, 134, 135; Peschel-Gutzeit, Das neue Unterhaltsrecht 2008, Rn 48 und Rn 309 ff.; Kleffmann, FuR 2008, 124, 128, Wever, FamRZ 2008, 553, 556; Viefhues, ZFE 2008, 44, 49.
[2] BGH FamRZ 2008, 968 m. Anm. Maurer = FuR 2008, 303 mit abl. Anm. Graba; Budzikiewicz, NJW 2007, 3536, 3537; Wever, FamRZ 2008, 553, 556; OLG Bremen OLGR Bremen 2008, 281.
[3] FamRZ 2008, 999;...

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