BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 27.7.2023 – 1 BvR 1242/23 (vorhergehend BVerfG, stattgebender Kammerbeschl. v. 12.2.2021 – 1 BvR 1780/20, FF 2021, 303 m. Anm. Clausius)

1. Ein Kind hat nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG einen Anspruch auf Schutz des Staates, wenn die Eltern ihrer Pflege- und Erziehungsverantwortung nicht gerecht werden oder wenn sie ihrem Kind den erforderlichen Schutz und die notwendige Hilfe aus anderen Gründen nicht bieten können. Bei einer Gefährdung des Kindeswohls ist der Staat nicht nur nach Art. 6 Abs. 3 GG berechtigt, sondern nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG auch verpflichtet, im äußersten Fall das Kind von seinen Eltern zu trennen oder eine bereits erfolgte Trennung aufrechtzuerhalten. Das gilt auch bei der Entscheidung über die Rückkehr eines Kindes in eine Pflegefamilie.

2. Bestehen Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bei Rückkehr des Kindes zu den Pflegeeltern, hat das Fachgericht in Auseinandersetzung mit den für eine nachhaltige Gefahr sprechenden Gesichtspunkten nachvollziehbar zu begründen, warum eine solche Gefahr für das Kindeswohl nicht vorliegt. Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob das fachgerichtliche Verfahren geeignet und angemessen war, um eine möglichst zuverlässige Grundlage für die Prognose über die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu erlangen, ohne selbst eine eigene Gefahrprognose vorzunehmen.

3. Dem verfassungsrechtlichen Schutzgebot genügt es nicht, wenn eine Kindeswohlgefährdung durch einen Konsumenten von Kinderpornographie unter Hinweis darauf abgelehnt wird, dass "lediglich" bis zu 12 % der wegen Besitzes oder Konsums von kinderpornographischen Inhalten auffällig Gewordenen auch reale sexuelle Missbrauchshandlungen (sog. hands-on-Delikte) begehen. Denn hands-on-Delikte zu Lasten von Kindern schließen schwerste Taten wie etwa den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern (§ 176a StGB) ein, so dass dem betroffenen Kind im Einzelfall massive Schäden drohen.

4. Die Auslegung und Anwendung von § 1632 Abs. 4 BGB, wonach ein zeitlicher Zusammenhang nur zwischen der Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie, nicht aber auch noch bei der Anordnung einer Rückführung des Kindes gegeben sein muss, verletzt hier nicht das Schutzrecht des Kindes, zumal die Pflegemutter in seinem Erleben seine Mutter ist.

(red. LS)

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