Das Gericht muss unter Beachtung des Amtsermittlungsgrundsatzes eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung haben. Auch der vom FamFG favorisierte Weg der konsensualen Streitbeilegung kann mit dem Kindeswohl und mit dem kindlichen Zeitempfinden kollidieren. Zudem: Die Regelvermutung zur Kindeswohldienlichkeit von Umgang kann in Fällen von häuslicher Gewalt und/oder bei fortwährendem hohem elterlichen Konfliktniveau keine Geltung beanspruchen. Beschleunigtes Verfahren, Konsensorientierung, Zwangsberatung, zügige Einleitung und Durchsetzung von Umgangskontakten, der Umgangspfleger, Ordnungsgeld und Ordnungshaft, Begutachtung mit dem Ziel der Erzielung von Einvernehmen bieten Chancen, bergen aber zugleich die Gefahr, bestehende dysfunktionale Strukturen und Machtgefälle zu verfestigen.[1] Es besteht die Gefahr, dass diese zahlreichen verschärften Instrumente zur Durchsetzung von Umgang im FamFG noch mehr Leid schaffen, eine kaum absehbare Kostenflut auslösen und zudem die verbreitete Unkenntnis über die Folgen häuslicher Gewalt perpetuieren. So besteht nach wie vor die nicht unberechtigte Befürchtung, dass das eigentlich zum Schutze des Kindes verpflichtete Familiengericht die Fortsetzung der Kindeswohlgefährdung ermöglicht. Statt den Schutz dieser Kinder sicherzustellen, die in gewaltbelasteten Familien leben, werden die realen andauernden Gefährdungen außer Acht gelassen, weil die behördliche und gerichtliche Praxis glaubt, sich an den Leitbildern der fortwährenden Elternverantwortung nach Trennung und der unterstellten Kindeswohldienlichkeit von Umgang orientieren zu müssen. Mediation scheint nicht die geeignete Methode bei häuslicher Gewalt, geht es doch um Sicherheitsfragen und um die Bewahrung von Rechtsgütern, für die der Staat in einer besonderen eigenen Schutzverantwortung steht: Menschenwürde, Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, freie Entfaltung der Persönlichkeit. Der zu Hilfe gerufene Staat kann sich nicht durch eine Reprivatisierung des Konflikts seiner Schutzpflichten entledigen. Inzwischen haben es immer mehr Professionelle und auch der Gesetzgeber gemerkt: "Cochem" ist entgegen seinen Erfindern und Befürwortern nicht immer die richtige Maßnahmenwahl.[2] Entgegen anderen Verlautbarungen hat das FamFG keineswegs das nicht evaluierte Cochemer Experiment übernommen, sondern Elemente, die sich schon längst vor Cochem als probat erwiesen hatten, endlich aufgegriffen. Um keine Missverständnisse entstehen zu lassen: Alle auf ein Einvernehmen zielenden realistischen Anstrengungen sind zu begrüßen, egal ob sie Münchener Modell oder wie auch immer heißen mögen, soweit sie sensibel und differenziert genug sind, und nicht wie das Cochemer Modell für sich beanspruchen, alle Fälle lösen zu können und gerichtliche Entscheidungen gänzlich überflüssig zu machen. Es gibt nun einmal Fallkonstellationen, in denen die Wahrung des Kindeswohls und Sicherheitsfragen im Vordergrund stehen müssen und in denen gerichtliche Entscheidungen unausweichlich und notwendig im wahrsten Sinne des Wortes sind; die Missachtung solcher Gesichtspunkte kann zu verheerenden Katastrophen führen.

[1] Nothhafft, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, Deutscher Bundestag, Rechtsausschuss, Anhörung am 13.2.2008.
[2] Vgl. Kostka, Vermittlungsverfahren und Kindeswohl, FAMPRA.ch 3/2009, 634-654.

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