Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte leitet der BGH zutreffend aus Art. 8 Abs. 1 der Brüssel IIa-VO ab, die hier Vorrang vor staatsvertraglichen Abkommen (Art. 5 Abs. 1 KSÜ) hat (Art. 61 Brüssel IIa-VO). Bei der Frage des anwendbaren Rechts ist die Situation nicht ganz so einfach: Der BGH beantwortet sie nicht nur für die (von den Parteien begehrte) gerichtliche Beendigung des gemeinsamen Sorgerechts, sondern auch schon für die vorgelagerte Frage, ob gemeinsames Sorgerecht überhaupt besteht. Insoweit wendet der BGH Art. 16 Abs. 1 KSÜ an und kommt über den (jetzigen) gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes zur Anwendbarkeit deutschen Rechts. Das Gleiche hätte sich zuvor aus Art. 21 EGBGB ergeben, da das vom KSÜ abgelöste MSA keine Regelungen für das auf gesetzliche Sorgerechtsverhältnisse anwendbare Recht enthielt. Der Lösungsweg des BGH gibt zu drei Bemerkungen Anlass:

Zum einen geht der BGH wie selbstverständlich davon aus, dass die Kollisionsnormen des KSÜ auch dann vorrangig vor Art. 21 EGBGB heranzuziehen sind, wenn sich die internationale Zuständigkeit des Gerichts nicht aus dem KSÜ, sondern aus der Brüssel IIa-VO ergibt. Dies ist umstritten;[5] die klärende und zu begrüßende Stellungnahme des BGH sollte den Streit beenden.[6]
Zum zweiten leitet der BGH die Anwendbarkeit des KSÜ aus der Übergangsvorschrift des Art. 53 Abs. 1 KSÜ her (Rn 31) – das ist für die von den Parteien begehrte Maßnahme (gerichtliche Beendigung des gemeinsamen Sorgerechts und Übertragung der Alleinsorge auf einen Elternteil) zutreffend. Artikel 53 Abs. 1 KSÜ betrifft aber nur gerichtliche Maßnahmen, nicht die Beurteilung von kraft Gesetzes bestehender Rechtslagen – insoweit ist das KSÜ aussagelos.[7] Der BGH wendet Art. 53 Abs. 1 KSÜ aber ohne Weiteres auf Art. 16 Abs. 1 KSÜ an, der das Bestehen gesetzlicher Sorgerechtsverhältnisse betrifft (Rn 32) – das wäre begründungsbedürftig gewesen.
Wichtiger ist aber noch die Feststellung, dass Art. 16 Abs. 1 KSÜ für die anschließend geprüfte Frage, ob die Eltern am 6.6.2005 Sorgeerklärungen gem. §§ 1626a ff. BGB gegeben haben (Rn 33 ff.), gar nicht der richtige Ansatz ist: Für Sorgerechtsverhältnisse, die auf elterlichen Handlungen beruhen ohne konstitutive Entscheidung eines staatlichen Organs, enthält Art. 16 Abs. 2 KSÜ eine spezielle Regelung: Hier wird (unwandelbar!) an den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in dem Moment angeknüpft, in dem die Sorgerechtsgestaltung kraft elterlicher Handlung wirksam wird.[8] Sorgeerklärungen nach § 1626a BGB werden als unproblematischer Anwendungsfall des Art. 16 Abs. 2 KSÜ aufgeführt.[9] Dabei können auch elterliche Handlungen zugrunde gelegt werden, die bereits vor Inkrafttreten des KSÜ vorgenommen worden sind[10] – nach Inkrafttreten bestimmt Art. 16 Abs. 2 KSÜ, ob die früheren Sorgeerklärungen der Eltern als wirksam zu betrachten sind. Der Sache nach prüft der BGH also zutreffend, ob die Vereinbarung der Eltern vom 6.6.2005 nach deutschem Recht zur gemeinsamen Sorge geführt hat (Rn 34, 35) – nur der kollisionsrechtliche Ansatz überzeugt nicht.
[5] Vgl. Staudinger/Pirrung (2009), Vorbem. C–H zu Art. 19 EGBGB Rn G 109; Schulz, FPR 2004, 299, 301; Gärtner, StAZ 2011, 65, 67, jew. m.w.N.
[6] Schulz, FamRZ 2011, 156, 159 betrachtet den Streit praktisch als erledigt.
[7] Staudinger/Pirrung (2009), Vorbem. C–H zu Art. 19 EGBGB Rn G 199.
[8] Staudinger/Pirrung (2009), Vorbem. C–H zu Art. 19 EGBGB Rn G 109; Gärtner, StAZ 2011, 65, 68.
[9] Schulz, FamRZ 2011, 156, 159.
[10] Staudinger/Pirrung (2009), Vorbem. C–H zu Art. 19 EGBGB Rn G 199.

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