1. Eine räumliche Trennung des Kindes von seinen Eltern gegen deren Willen stellt den stärksten Eingriff in das Elterngrundrecht dar, der nur unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen oder aufrechterhalten werden darf. Art. 6 Abs. 3 GG erlaubt diesen Eingriff lediglich unter der strengen Voraussetzung, dass das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht, dass das Kind bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre Eine solche Gefährdung ist dann anzunehmen, wenn bei dem Kind bereits ein Schaden eingetreten ist oder sich eine erhebliche Gefährdung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt.

2.Mit einer räumlichen Trennung verbundene Sorgerechtsentscheidungen sind auch im fachgerichtlichen einstweiligen Anordnungsverfahren zulässig, wenn die Gefährdungslage nach Ausmaß und Wahrscheinlichkeit aufgrund der vorhandenen Erkenntnisse bereits derart verdichtet ist, dass ein sofortiges Einschreiten auch ohne weitere gerichtliche Ermittlungen geboten ist.

3. Sind nach den fachgerichtlichen Feststellungen bei den betroffenen Kindern vor der Inobhutnahme bereits erhebliche Defizite sowohl im Bereich der sprachlichen und motorischen Entwicklung als auch der sozio-emotionalen Entwicklung vorhanden, so ist es nicht zu beanstanden, wenn das Fachgericht diese Feststellungen im einstweiligen Anordnungsverfahren zugrundlegt, auch wenn sich nach einer im Hauptsacheverfahren abgegebenen, vorab erfolgten Stellungnahme der dort beauftragten psychologischen Sachverständigen keine gravierenden Entwicklungsauffälligkeiten der Kinder ergeben, die mit Sicherheit durch ein Fehlverhalten des Beschwerdeführers verursacht worden wären. Hierauf kommt es schon deshalb nicht an, weil es bei der Entscheidung über den Entzug oder Teilentzug des Sorgerechts nicht um eine Sanktionierung eines möglichen Fehlverhaltens eines Elternteils, sondern allein um eine am Kindeswohl zu orientierende Entscheidung geht.

4. Die prognostische Einschätzung des Oberlandesgerichts, dass der unter Betreuung stehende, in seiner Kritik- und Urteilsfähigkeit eingeschränkte Beschwerdeführer nicht in der Lage sein werde, seinen Kindern bei Rückkehr in seinen Haushalt den erforderlichen Schutz zu bieten, ist im einstweiligen Anordnungsverfahren angesichts der den Kindern bei Rückkehr in den väterlichen Haushalt möglicherweise drohenden weiteren Beeinträchtigungen des Kindeswohls hinreichend tragfähig begründet.

5. In Eilverfahren ist es regelmäßig nicht möglich, noch vor der Entscheidung ein Sachverständigengutachten einzuholen.

6. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Fachgericht im einstweiligen Anordnungsverfahren nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG von einer erneuten mündlichen Anhörung der Beteiligten absieht. § 68 Abs. 5 Nr. 1 FamFG steht dem Verzicht auf die (erneute) mündliche Anhörung nicht entgegen, weil die Regelung schon nach ihrem eindeutigen Wortlaut ("Hauptsacheverfahren") im einstweiligen Anordnungsverfahren nicht greift.

(red. LS)

BVerfG, Nichtannahmebeschl. der 2. Kammer des 1. Senats v. 7.3.2023 – 1 BvR 221/23 (OLG Köln, AG Geilenkirchen)

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