4.1.2010

Das neue Jahr scheint für Rechtsanwalt B gut zu beginnen. Ehefrau A kommt mit ihren Eltern (Eheleute D sen.) in seine Praxis. Sie will sich scheiden lassen. Ihr Ehemann ist Alleineigentümer einer lastenfreien Immobilie im Werte von 240.000 EUR. Kurz nach der Eheschließung (2002) haben die Schwiegereltern ihm einen Betrag von 150.000 EUR zur Verfügung gestellt. Sonstiges Anfangs- und Endvermögen ist auf beiden Seiten nicht vorhanden. Die Familien A/D planen zunächst, die 150.000 EUR zurückzufordern. Die restlichen 90.000 EUR sollen zusätzlich von Frau A zu ½ über Zugewinn verlangt werden. Nach Ansicht von Rechtsanwalt B sind die Ansprüche der Eltern jedoch chancenlos. Frau A bekäme nach der jahrzehntelangen Rechtsprechung des BGH[1] über Zugewinn lediglich die Hälfte der 240.000 EUR erstattet. Selbst wenn die Familien A/D derzeit eine "Einheit" zu sein scheinen, erklärt Rechtsanwalt B als bekannt vorsichtig taktierender Jurist, er könne nur die Interessen von Frau A vertreten. Die Eltern von Frau A wenden sich daraufhin an den Kollegen K, der diese Rechtsansicht uneingeschränkt bestätigt. Herr D sen. ist bitter enttäuscht; Frau D sen. hingegen nicht. Sie hatte schon aufgrund der hohen Prozesskosten nie hinter einem solchen Widerruf gestanden.

14.1.2010

Frau D sen. verstirbt bei einem Verkehrsunfall.

3.2.2010

In allen Gazetten wird verkündet, der BGH habe seine restriktive Rechtsprechung zur Zuwendung von Schwiegereltern aufgegeben. Jubelstimmung bei Herrn D sen. Anlässlich eines besorgten Anrufs von Frau A, ob dieses Urteil irgendeine Auswirkung auf ihren Zugewinnausgleichsanspruch habe, verneint Rechtsanwalt B dies vehement. Der BGH habe erklärt, diese Zuwendung sei zugewinnausgleichsrechtlich neutral. Wenn das höchste deutsche Zivilgericht in einer solchen elementaren Frage dies feststelle, könne es sich nicht irren.

10.6.2010

Endlich sind die Urteilsgründe auf der Homepage veröffentlicht. Rechtsanwalt K verlangt für Herrn D sen. die komplette Zuwendung zurück.

24.6.2010

Herr A hat Rechtsanwältin T beauftragt. Diese weist alle Ansprüche zurück und führt u.a. Folgendes aus:

Der Widerruf der Schenkung könne lediglich von beiden Eheleuten D sen. geltend gemacht werden. Ähnlich wie beim Widerruf der Schenkung (§ 530 Abs. 2 BGB) handele es sich um einen höchstpersönlichen Anspruch, der nicht durch einen Dritten ausgeübt werden könne.[2]
Keinesfalls könne der volle Anspruch geltend gemacht werden. Immerhin hätten die Parteien acht Jahre zusammen gelebt. Eine Eheverweildauer von 20 Jahren führe zum Ausschluss des Anspruches.[3] Angesichts der mannigfaltigen Einmischungen gerade der Eltern von Frau A entsprächen diese acht Ehejahre gefühlten 16 Jahren. Allenfalls ein geringer Teilrückforderungsanspruch sei denkbar.
Habe Herr D sen. sich i.Ü. Gedanken darüber gemacht, dass der Zugewinnausgleichsanspruch seiner Tochter durch seine Ansprüche geschmälert werde?

20.7.2010

Zwischen Frau A und Rechtsanwalt B wird die Frage der "Zugewinnausgleichsneutralität" erörtert. Zerknirscht muss Rechtsanwalt B seinen Glauben an die juristische Unfehlbarkeit des BGH revidieren. Nach dessen Vorgaben kommt er nun zu dem Ergebnis, dass Frau A lediglich 45.000 EUR Zugewinn zustehen. Dies ist unabhängig davon, welchen Rückforderungsanspruch man einsetzt:

Variante 1 (volle Rückforderung):

Endvermögen; 240.000 EUR (Immobilie) – 150.000 EUR (Rückforderungsanspruch) = 90.000 EUR;

Anfangsvermögen: 150.000 EUR (Schenkung) – 150.000 EUR (Rückforderungsanspruch) = 0 EUR;

Zugewinnausgleich: (90.000 EUR : 2) = 45.000 EUR

Variante 2 (keine Rückforderung):

Endvermögen 240.000 EUR – Anfangsvermögen 150.000 EUR = 90.000 EUR. Zugewinnausgleich ebenfalls 45.000 EUR.

Frau A hat sich mit ihrem Vater mittlerweile aufgrund des Erbfalls zerstritten. Der Plan, möglichst viel Geld in die Familien A/D zurückzubekommen, ist ad acta gelegt.

10.8.2010

Das Haus von Herrn A brennt teilweise ab. Es hat nur noch einen Wert von 150.000 EUR. Ob der Schaden durch eine Versicherungsleistung abgedeckt ist, bleibt wegen einer möglichen Obliegenheitsverletzung von Herrn A offen.

9.9.2010

Rechtsanwalt B eröffnet Frau A, sie bekomme nichts, falls keine Versicherungsleistung fließe. Zwar seien jedenfalls noch 150.000 EUR als Endvermögen vorhanden. Dem stünde dann aber entweder ein voller Ausgleichsanspruch entgegen (wiederum 150.000 EUR), vgl. § 1378 Abs. 2 BGB.[4] Sei kein Rückforderungsanspruch gegeben, stünde dem Endvermögen das Anfangsvermögen mit ebenfalls 150.000 EUR gegenüber.

20.10.2010

Rechtsanwalt B entnimmt einem Aufsatz[5] die ketzerische These, dass beim Anfangsvermögen die Zuwendung lebenshaltungskostenindexiert zu berücksichtigen sei. Der Gedanke, dass es kein unterschiedliches Anfangsvermögen zwischen Kindern und Schwiegerkindern geben könne, leuchtet ihm ein. Solche Unterscheidungen in Zuwendungen erster und zweiter Klasse waren dem Familienrecht bislang unbekannt. Anhand der Indexzahlen (2002: 96; 2011: 117) ermittelt er nun folgende Beträge:

Voller Rückforderungsansp...

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