Das BVerfG hat am 29.3.2023 seinen lang erwarteten, allerdings nicht durchweg stringent begründeten Beschluss zum Verbot von Kinderehen verkündet (BVerfG, Beschl. v. 1.2.2023 – 1 BvL 7/18).[1] Darin stellt es fest, dass die pauschale Unwirksamkeit von im Ausland geschlossenen Ehen, die unter Beteiligung eines unter 16-Jährigen geschlossen worden sind,[2] mit der Eheschließungsfreiheit (Art. 6 I GG) unvereinbar ist. Der Gesetzgeber hat bis zum 30.6.2024 Zeit, eine verfassungskonforme Neuregelung zu schaffen. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt das geltende Recht mit Modifikationen anwendbar.

1. Rechtliche Ausgangslage und Vorlageverfahren

Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17.7.2017[3] das deutsche Eheschließungsrecht reformiert, um Ehen, die unter Beteiligung mindestens eines minderjährigen Ehegatten geschlossen worden sind (sog. Minderjährigenehen),[4] möglichst vollständig zu unterbinden.[5] Zwar wurde von der seinerzeit im deutschen Eherecht geltenden Dispensregelung kaum Gebrauch gemacht,[6] Regelungsanlass war jedoch ein vermehrtes Vorkommen von Minderjährigenehen im Inland aufgrund der sog. "Flüchtlingskrise" und die mediales Aufsehen erregende Entscheidung des OLG Bamberg, die auch diesem Verfahren zugrunde liegt.[7] Konkret ging es im Verfahren um Ehegatten, die die Ehe in Syrien kurz vor ihrer Flucht nach Deutschland im Februar 2015 geschlossen hatten. Die Ehefrau war zum Zeitpunkt der Eheschließung 14 Jahre alt. Das örtlich zuständige deutsche Jugendamt nahm die betroffene minderjährige Ehegattin in Obhut und brachte sie in einer Jugendhilfeeinrichtung für weibliche minderjährige unbegleitete Flüchtlinge unter. Das Familiengericht stellte das Ruhen der elterlichen Sorge fest und bestellte das Jugendamt als Amtsvormund. Der im Rechtsmittelverfahren mit der Sache befasste BGH legte dem BVerfG die Sache vor und ging dabei insbesondere von der Verfassungswidrigkeit des während des Verfahrensverlaufs in Kraft getretenen neuen Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB aus, der Auslandsehen entsprechend der neuen Regelung des deutschen Sachrechts (§ 1303 S. 2 BGB) als Nichtehen behandelt.

2. Entscheidung des Gerichts

Das BVerfG stellt in seiner Entscheidung nun die Unvereinbarkeit des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB mit der Eheschließungsfreiheit in Art. 6 Abs. 1 GG fest. Zwar könne der Gesetzgeber verfassungskonform ein entsprechendes Mindestalter für die Eheschließung vorsehen und an dessen Nichteinhaltung auch die Unwirksamkeit der Ehe im Falle von Auslandsehen knüpfen. Er müsse aber Folgeregelungen vorsehen, die die Interessen der beteiligten Ehegatten, insbesondere des minderjährigen Ehegatten angemessen berücksichtigten. Entsprechende Regelungen fehlen aus Sicht des BVerfG allerdings, insbesondere im Hinblick auf unterhaltsrechtliche Folgen und die Möglichkeit des Minderjährigen, nach Erreichen der Volljährigkeit die Ehe im Inland als wirksame weiterzuführen. Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB bleibt trotz verfassungsrechtlicher Unvereinbarkeit weiterhin anwendbar, ist allerdings mit der Maßgabe anzuwenden, dass die in § 1318 BGB in Bezug genommenen Unterhaltsansprüche und §§ 1360 und 1360a BGB vorübergehend anzuwenden sind.

3. Bewertung und Ausblick

Die Entscheidung des BVerfG überzeugt aus folgenden Gründen nicht vollständig – obschon die Annahme einer verfassungsrechtlichen Unvereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 GG grundsätzlich zu begrüßen ist:

a) Das BVerfG geht in seinen Erwägungen insbesondere davon aus, dass die pauschale Behandlung von Auslandsehen in der Fallgruppe des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB als Nichtehen eine geeignete Regelung sei, um den Regelungszweck, der mit dem Verbot von Kinderehen verbunden ist, zu verwirklichen (Rn 130 ff.). Dies kann schon im Ansatz nicht richtig sein, denn die Regelung lässt eine Differenzierung nach problematischen und unproblematischen Sachverhalten generell nicht zu. Auch in Fällen, in denen die Ehegatten bereits volljährig geworden sind und ihren Willen, an der Ehe festhalten zu wollen, positiv bekräftigt haben, sieht Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB die Unwirksamkeit vor. Das BVerfG erkennt in diesen Fällen sogar explizit ein Interesse des minderjährigen Ehegatten an, an der Ehe und deren Rechtsfolgen festhalten zu wollen. Den Regelungszweck, die aus der verfrühten Verheiratung von minderjährigen Ehegatten resultierenden Gefahren[8] zu verhindern, erfüllt die Regelung daher nicht in jedem Fall. Es fällt folglich schwer, nachzuvollziehen, wie man insoweit von einer Eignung der Regelung ausgehen kann. Im Ergebnis zutreffend geht aber auch das BVerfG von einem Verstoß der Regelung gegen die Eheschließungsfreiheit aus.[9]

b) Es verwundert ferner, dass das Gericht auf weitere grundrechtliche Verbürgungen (auch betreffend potentiell aus der Ehe hervorgegangener Kinder) wie das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG), das Recht des Kindes auf elterliche Pflege und Erziehung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 2 GG) oder den Gleichheitssatz (Art. 3 GG) nicht eingeht.[10] ...

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