Dass das BVerfG diese Entscheidung nur wenige Monate nach der Entscheidung des EGMR getroffen und nicht nur die angegriffenen Sorgerechtsregelungen nun für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt, sondern auch vorgegeben hat, wie bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber zu verfahren ist,[58] liegt nicht darin begründet, dass es dem Gesetzgeber hat vorgreifen oder ihm gar die Richtung für das zu schaffende neue Recht hat weisen wollen. Vielmehr ist dies erfolgt, um den deutschen Fachgerichten in der Übergangszeit bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts aus einem Dilemma zu helfen und ihnen für ihre Entscheidungen in Sorgerechtsstreitigkeiten nicht miteinander verheirateter Eltern eine vorläufige Handhabe zu geben.
Denn nach der Entscheidung des EGMR sind die Gerichte zunächst einerseits weiterhin an die eindeutigen gesetzlichen Regelungen gebunden gewesen, die vom Verfassungsgericht bislang für verfassungsgemäß erachtet worden waren. Andererseits aber hat ihnen, auch nach der Rechtsprechung des BVerfG, die Pflicht oblegen, die Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention in der Auslegung durch den EGMR zu wahren und bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen,[59] also von der vom EGMR festgestellten Konventionswidrigkeit der gesetzlichen Regelung auszugehen – ein nicht zu lösender Widerspruch, zumal eine Aussetzung der Verfahren bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber dem erst vor kurzem den Gerichten in Kindschaftssachen gesetzlich auferlegten Beschleunigungsgebot zuwidergelaufen wäre. Insofern war es angezeigt, nicht nur die Normen einer erneuten verfassungsrechtlichen Überprüfung zu unterziehen, sondern nach Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz den Gerichten vorzugeben, mit welchen Maßgaben sie unter Wahrung der Verfassung vorläufig in solchen Rechtsstreitigkeiten das Recht anzuwenden haben.
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