Damit hinterlässt die Reformgesetzgebung den Eindruck von "Licht und Schatten".

Sicher erstrebt die Reform das Richtige, nämlich für die Patienten die "Achtung ihrer Würde und ihres Selbstbestimmungsrechts bei ärztlichen Behandlungen in allen Lebensphasen", "für alle Beteiligten mehr Rechtssicherheit", aber doch auch den "Schutz des Betroffenen durch verfahrensrechtliche Regelungen".[1] Ziele allerdings, die in Widerstreit geraten können. Und Ansprüche, die die konkrete Gesetzgebung nicht immer einlösen kann.

Z.T. ist dies sachbedingt, wie rasch beim Verhältnis von "Rechtssicherheit" und "Wahrung der Würde und Selbstbestimmung" deutlich wird. Denn Selbstbestimmung muss sich nicht immer in klaren Handlungsanweisungen äußern und verläuft auf der Zeitachse dynamisch, nicht statisch. Daher sind Schwierigkeiten bei der Beantwortung der Frage, ob die Festlegungen einer Patientenverfügung noch die konkrete Behandlungssituation betreffen, vorprogrammiert. Ähnlich liegt es, soweit die Eingangsschwelle zur Ermittlung des Patientenwillens die medizinische Indikation darstellt: also eine Handlungsempfehlung als Ergebnis rein fachlicher Standards, abhängig vom medizinischen Fortschritt, jedoch auch abhängig von berufsethischen – und wandelbaren – Auffassungen. Aber der Gesetzgeber hat ein Übriges getan, indem er nicht nur den Weg der bindenden Patientenverfügung eröffnet hat, sondern sich daneben auch noch auf das unwegsame Gelände der Ermittlung eines mutmaßlichen Willens begeben hat. Ungeachtet dessen schwierigen Verhältnisses zu Selbstbestimmung und Würde kann Rechtssicherheit so kaum erzeugt werden.

Dass bei derart komplexen Problemlagen die Akzeptanz jedes Ergebnisses auch vom Verfahren seiner Gewinnung abhängt, war dem Gesetzgeber durchaus bewusst. Dies erklärt die in § 1901b Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 BGB normierte Ermittlung des Patientenwillens in einem von Arzt mit Betreuer oder Bevollmächtigten zu führenden Gespräch unter Einbeziehung von Angehörigen und Vertrauenspersonen sowie die Existenz eines gerichtlichen Genehmigungsverfahrens gem. § 1904 BGB. Gleichwohl bleiben seine Ausgestaltung und die Fixierung seiner Erforderlichkeit auf bloße Kontroversentscheidungen zu unvollkommen, als dass von einem wirksamen Schutz des Betroffenen schon durch Verfahren die Rede sein kann. Ersichtlich nimmt der Gesetzgeber viel Selbstregulierung hin, man darf auch sagen "Grauzonen".

Gefragt, ob sich die Abfassung einer Patientenverfügung empfiehlt, muss die Antwort daher gespalten ausfallen. Den Interessen von Ärzten und anderen Funktionsträgern an der sie entlastenden Definition von Verantwortungsbereichen wird eine Patientenverfügung schon dann entsprechen, sobald sie aus ihrer Sicht hinreichend interpretierbare Behandlungsmaximen enthält. Aus Sicht des Patienten selbst macht eine Patientenverfügung sicher dann Sinn, wenn er angesichts seines Gesundheitszustandes und nach – insbesondere medizinischer – Beratung in der Lage ist, seine künftige Situation hinreichend zu überblicken sowie gültige Behandlungsanweisungen zu formulieren, und wenn verlässliche Interpreten seines Willens bereitstehen, also Ärzte, Angehörige, Betreuer oder Bevollmächtigte. Auf diese Weise kann der Patient weitgehend auch die in ihrer Praxis noch schwer abschätzbare Ermittlung eines mutmaßlichen Willens ausschalten. Fehlt es an nur einer der genannten Voraussetzungen, muss ihm allerdings klar sein, dass er die Risiken trägt.

Wohl immer noch bedeutsamer als die Patientenverfügung selbst erscheint ein sensibler und an der Würde des Menschen orientierter Umgang mit dem medizinisch Machbaren: Fortschritte in der Palliativmedizin bleiben wichtig!

[1] BT-Drucks 16/8442, S. 2 und 3 (unter A. Problem, B. Lösung).

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