1. Die Interessen der Ärzte und des Pflegepersonals

Ohne Zweifel stehen sich Ärzte und Pflegepersonal mit der Neuregelung besser als nach altem Recht. Kann eine Patientenverfügung trotz ihres Charakters als Vorausverfügung die aktuelle Behandlungssituation hinreichend beschreiben und sind sie sich hierüber mit einem Betreuer oder Bevollmächtigten einig, vermag man ihnen im Nachhinein nicht mehr allzu viel vorzuwerfen. Dies gilt umso mehr, falls sie bei Zweifeln eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt haben. Gerade diese Möglichkeit schützt sie auch bei Patientenverfügungen, deren Entstehung mangels zwingender ärztlicher Beratung bei ihrer Errichtung zweifelbehaftet ist. Ohnehin obliegt es zunächst allein der Beurteilung des Arztes, welche Maßnahme er überhaupt für medizinisch indiziert erachtet. Allein über derartige – aus medizinischer Sicht "angebotene"[1] – Maßnahmen ist überhaupt noch zu diskutieren (§ 1901b Abs. 1 Satz 1 BGB).[2]

Keine ausdrückliche Aussage trifft das neue Recht für den Fall, dass Betreuer oder Bevollmächtigter fehlen. Ohne Zweifel fehlt hier ein vom Gesetz vorausgesetzter Dialogpartner der Ärzte;[3] dies zusätzlich auch betreffend der arztrechtlich gebotenen Risikoaufklärung vor Vornahme des Eingriffs.[4] Gegen die Unbeachtlichkeit einer Patientenverfügung in dieser Situation spricht aber ihr Charakter als im Voraus erklärter Willenskundgabe.[5] Und auch jetzt können Ärzte und Pflegepersonal entweder – wenn auch bei gesteigertem Risiko – die als bindend erachtete Patientenverfügung umsetzen oder Betreuungsbedarf sehen und eine Betreuerbestellung sowie ein nachgeordnetes gerichtliches Genehmigungsverfahren initiieren, notfalls sogar durch "künstlichen Dissens".[6] Dies ist besonders anzuraten, wenn die Entstehung einer Patientenverfügung zweifelbehaftet ist.

Nicht von der Neuregelung erfasst, also auch nicht von deren Regelungsdefiziten betroffen, ist die Einwilligung in medizinische Maßnahmen anlässlich unmittelbar bevorstehender Eingriffe, mag der Patient auch bei diesen – etwa einer Operation – kurzfristig bewusstlos werden. Hier bedarf es auch künftig keiner Bestellung eines Betreuers oder Bevollmächtigten, weil derartige Einwilligungen – wie der Gesetzeswortlaut klarstellt – keine Patientenverfügungen i.S.d. § 1901a Abs. 1 BGB sind.

[2] Zutreffend Beckmann, MedR 2009, 582, 582: "entscheidende Weichenstellung".
[3] Daher hält Beckmann, a.a.O., 583 nur eilbedürftige Behandlungsentscheidungen i.S.d. § 1904 Abs. 1 Satz 2 BGB für zulässig und erachtet im Übrigen eine zumindest vorläufige Betreuerbestellung für erforderlich.
[4] Beckmann, a.a.O., 585.
[5] Für inhaltliche Differenzierung (Unbeachtlichkeit lediglich pauschaler Erklärungen, etwa "keine lebensverlängernden Maßnahmen") daher Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1954.
[6] Spickhoff, a.a.O, 1952 f.

2. Die Interessen anderer Funktionsträger, namentlich der Betreuer, Bevollmächtigten und Betreuungsrichter

Die grundsätzliche Anerkennung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen entlastet auch andere Funktionsträger, wie etwa Betreuer, Bevollmächtigte, Anwälte, Verfahrenspfleger oder Betreuungsrichter. Denn bei hinreichender Eindeutigkeit der Patientenverfügungen erlangen sie Entscheidungssicherheit. Und Genehmigungsverfahren müssen sie nicht generell durchführen, sondern nur bei Kontroversen über die Ermittlung des fixierten oder mutmaßlichen Patientenwillens. Dass Bevollmächtigte hierbei ihr Handeln nur auf eine die Behandlungsmaßnahme "ausdrücklich" umfassende und schriftliche Vollmacht stützen dürfen (§ 1904 Abs. 5 BGB), ist den im Verhältnis zur Betreuerbestellung reduzierten Kontrollmöglichkeiten des Betreuungsgerichts[1] geschuldet, also letztlich dem Schutz des Betroffenen.

Getrübt wird das Bild allerdings bei fehlender Sicherheit über die Entstehung der Patientenverfügungen und bei Notwendigkeit eines Rückgriffs auf den mutmaßlichen Willen. Jedenfalls derzeit kann nur schwer abgeschätzt werden, wie Gerichte die Ermittlung eines individuellen mutmaßlichen Willens i.S.d. § 1901a Abs. 2 BGB tatsächlich vornehmen werden. Damit müssen die Funktionsträger doch wieder entweder Verantwortung übernehmen oder sollten schon aus Eigeninteresse "in dubio pro vita" entscheiden.

Dass nach dem Gesetzeswortlaut eine betreuungsgerichtliche Genehmigung i.S.d. § 1904 BGB nur bei Dissens zwischen Arzt und Betreuer sowie Bevollmächtigten "erforderlich" ist (§ 1904 Abs. 4 BGB), schließt ein Genehmigungsverfahren in anderen Fällen – also bei Missbrauchsbefürchtungen – nicht aus. Die Entwurfsbegründung ging nämlich davon aus, "dass jeder Dritte, insbesondere der Ehegatte, Lebenspartner, Verwandte oder benannte Vertrauenspersonen, auf Grund des Amtsermittlungsprinzips der Freiwilligen Gerichtsbarkeit jederzeit eine vormundschaftsgerichtliche Kontrolle der Betreuerentscheidung in Gang setzen kann."[2] Das praktische Problem ist nur: Wie erfährt das – heutige – Betreuungsgericht von der Gefahr eines Missbrauchs?

[1] Überblick bei Probst, Betreuungs- und Unterbringungsverfahren, 2. Aufl. (2010), Rn 22, 49.
[2] BT-Drucks 16/8442, 1...

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