I. Halbteilungsgrundsatz und Teilhabe

Dass überhaupt nacheheliche Unterhaltsansprüche eingeräumt werden, ist eine Folge der auch nach der Scheidung fortdauernden Verantwortung oder auch der nachehelichen Solidarität. Der Unterhalt ist eine Nachwirkung der Ehe.

In welchem Umfang Ansprüche gewährt werden, ist eine Frage der Teilhabe. Insofern ist die gesetzliche Regelung von der Unterhaltsreform nicht angetastet worden. Es gilt nach wie vor, dass der geschiedene Ehegatte an dem in der Ehe erreichten Lebensstandard durch den Unterhalt teilhaben soll.[18] Wenn die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, ist das Einkommen den geschiedenen Ehegatten grundsätzlich hälftig zuzuordnen.[19]

Eine Teilhabe am Lebensstandard bedeutet allerdings jedenfalls für die geschiedene Ehe nicht notwendigerweise auch die hälftige Teilhabe. So wies beispielsweise die erste nach Inkrafttreten der Eherechtsreform herausgegebene Düsseldorfer Tabelle noch eine Beteiligungsquote von 2/5 aus.[20]

Die Beteiligungsquote von 2/5 orientierte sich an dem, was die Vorgängertabelle noch bei Scheidung aus alleinigem oder überwiegendem Verschulden eines Ehegatten festgelegt hatte. Bei einer Scheidung aus beiderseitigem Verschulden (hier war nach § 60 EheG nur ein Unterhaltsbeitrag zu leisten) wurde davon wiederum nur die Hälfte geschuldet, also bloß 1/5 des Einkommens.[21]

Durch die Eherechtsreform wurden solche Differenzierungen eingeebnet. Die von dem schuldigen Ehegatten zu zahlende 2/5-Quote wurde nun auf alle Fälle angewendet. Dass der Unterhalt nunmehr verstärkt auf den Ausgleich ehebedingter Nachteile beschränkt werden soll, findet auch nach der Unterhaltsreform 2007 seinen Ausdruck nicht in der Bedarfsbemessung nach § 1578 BGB, sondern in den Herabsetzungs- und Befristungsmöglichkeiten gem. § 1578b BGB.

Das Problem liegt im zeitlichen Bezug. Und hier macht es durchaus einen Unterschied, ob es sich um Einkommensverbesserungen oder -verschlechterungen handelt und ob es um den Unterhaltsberechtigten oder Unterhaltspflichtigen geht. Es kann sich entgegen mancher Kritik durchaus ergeben, dass sich der Unterhaltsberechtigte Einkommensreduzierungen beim Unterhaltspflichtigen entgegenhalten lassen muss, aber an Einkommensverbesserungen nicht teilhat.

[18] BT-Drucks 7/650, Satz 136: "Die Berücksichtigung der ehelichen Lebensverhältnisse wird besonders den Fällen gerecht, in denen durch gemeinsame Leistung der Ehegatten ein höherer sozialer Status erreicht worden ist, an dem auch der nicht erwerbstätig gewesene Ehegatte teilhaben muss.".
[19] BVerfG FamRZ 2002, 527, 529.
[20] Stand 1.1.1979, FamRZ 1978, 854.
[21] So auch noch – für Altfälle – die Düsseldorfer Tabelle 2008 und 2009.

1. Einkommensverschlechterungen

Mit dem Gebot der Teilhabe war kaum jemals die Vorstellung verbunden, dass der Unterhaltsberechtigte einmal mehr zur Verfügung haben sollte als der Unterhaltspflichtige selbst. Der Unterhaltsberechtigte sollte nach der Gesetzesbegründung an dem erreichten höheren sozialen Status teilhaben, nicht aber an einem Status, den der Unterhaltspflichtige selber auf Grund von Einkommensrückgängen längst nicht mehr genießt.

Dass es überhaupt zu solcher Fehlvorstellung kommen konnte, beruht auf einer Überbetonung des Begriffs der Prägung, der wie das Stichtagsprinzip dem Gesetz nicht zu entnehmen ist. Allein die Prägung kann eine unveränderte Fortschreibung eines früher einmal vorhandenen (dann quasi eingefrorenen) Lebensstandards nicht begründen.[22] Dass der Unterhaltspflichtige an einem früheren Zustand festgehalten werden soll, lässt sich doch nur rechtfertigen, wenn ihm entweder

  • vorzuwerfen ist, den Zustand nicht aufrechterhalten zu haben,
  • oder ihm vorgehalten werden kann, er habe sich mit wirtschaftlichen oder persönlichen Dispositionen, die sein Einkommen schmälern, im Hinblick auf die bestehende Unterhaltspflicht zurückhalten oder für entstehende Lücken anderweitige Vorsorge treffen müssen.

Dass die Entwicklung beim Unterhaltspflichtigen einschließlich des Stichtags bei der Unterhaltsbemessung anders zu bewerten ist als beim Unterhaltsberechtigten, dürfte an sich nicht zweifelhaft sein. Das ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit bei einer Betrachtung der gesetzlichen Unterhaltstatbestände und ihrer Einsatzzeitpunkte.

Der Unterschied zwischen Unterhaltsschuldner und Unterhaltsgläubiger lässt sich etwa am Beispiel von Unterhaltspflichten gegenüber Kindern (Betreuungs- oder Barunterhalt) verdeutlichen. Hat der Unterhaltspflichtige ein Kind in die Ehe mitgebracht, so handelt es sich zweifellos um eine die ehelichen Lebensverhältnisse prägende Unterhaltslast. Ist es nun der Unterhaltsberechtigte, der ein Kind mit in die Ehe gebracht hat, gilt zunächst das gleiche. Auch die Betreuung dieses Kindes, unter Umständen sogar auch der vom Stiefvater getragene Kindesunterhalt, prägen die ehelichen Lebensverhältnisse.

Anders verhält es sich nach der Scheidung. Nach der Scheidung fällt, abgesehen vom seltenen Billigkeitsunterhalt nach § 1576 BGB, die Unterhaltslast gegenüber dem Kind als bedarfsbestimmende Größe weg. Der Unte...

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