Eine gesetzliche Regelung der ehelichen Lebensverhältnisse findet sich in §§ 1353 bis 1362 BGB. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet. Sie schulden der Familie Unterhalt in Form von Erwerbstätigkeit oder Haushaltsführung. Und sie sollen aufeinander Rücksicht nehmen. Mit der Scheidung finden wie die Ehe auch diese Pflichten ihr Ende. Nur wenige Pflichten bestehen im Rahmen der nachwirkenden Solidarität auch nach der Scheidung fort.

Wenn die ehelichen Lebensverhältnisse im Hinblick auf den nachehelichen Unterhalt dennoch fortgeschrieben werden, muss sich eine auf den Stichtag der Scheidung bezogene Sichtweise sogleich daran stoßen, dass das Leben auch nach der Scheidung weitergeht und sich bekanntlich sogar sehr vielgestaltig entwickeln kann. Es verwundert demnach kaum, dass die Gesetzesbestimmung zu erheblichen Abgrenzungsproblemen geführt hat, wobei man sich allerdings fragen kann, ob sich die Probleme eher aus einer unglücklichen, weil unbestimmten Gesetzesformulierung ergeben oder aber aus ihrem einseitigen Verständnis durch die bisher herrschende Praxis.

Der Begriff der "ehelichen Lebensverhältnisse" gem. § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB wurde durch die Eherechtsreform 1976 eingeführt. Bei Inkrafttreten des BGB war der Unterhaltsmaßstab noch der "standesmäßige Unterhalt" (§ 1578 Abs. 1 BGB-1900). Anschließend wurde der nacheheliche Unterhalt in den Ehegesetzen von 1938 (§ 66) und 1946 (§ 58) geregelt. Nach beiden Gesetzen diente als Maßstab der "nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessene Unterhalt".

Nach allen genannten Vorläufervorschriften ging die Praxis davon aus, dass für die Beurteilung zwar grundsätzlich an den Zeitpunkt der Scheidung anzuknüpfen war, dass aber auf der anderen Seite bei sich verändernden Verhältnissen eine Anpassung des Unterhalts erforderlich war. In den Beratungen des BGB war zwar eine Festschreibung der Unterhaltsrente erwogen worden, um die Notwendigkeit wiederholter Abänderungsverfahren nach geschiedener Ehe zu vermeiden. Die 2. Kommission hielt dies aber allenfalls dann für gerechtfertigt, wenn man dem Unterhalt den Charakter eines Entschädigungsanspruchs gegeben hätte.[5] Diese Rechtsnatur wurde aber von beiden BGB-Kommissionen einhellig abgelehnt.

Das Gegenmodell zum BGB und den beiden Ehegesetzen, der Unterhalt als Entschädigungsanspruch, war noch im Preußischen ALR enthalten. Das Preußische ALR sprach dem unschuldig geschiedenen Teil wahlweise eine Abfindung oder Verpflegungsgelder zu (II 1 § 798). Das Stichtagsprinzip wurde hier konsequent verwirklicht und durchaus "griffig" ausgedrückt:

Teil II 1. Titel (Von der Ehe) §. 784. Es wird alsdann angenommen, als ob der schuldige Theil an dem Tage des publicirten und rechtskräftig gewordenen Scheidungsurteils (§ 769, 770, 771) gestorben wäre.

Diese klare und konsequente Regelung beruhte darauf, dass beide Ansprüche Strafcharakter hatten und einen Ersatz für das durch die Scheidung entzogene Erbrecht an dem Vermögen des Mannes darstellten.[6]

Das geltende Recht des BGB knüpft im Gegensatz dazu an den Bedarf, die Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten und die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen an. Alle drei Kriterien sind einem ständigen Wandel unterworfen. Es ist daher nahe liegend, dass gewandelte Verhältnisse bei der Unterhaltsermittlung zu berücksichtigen sind. Stellt man dagegen streng auf den Stichtag der Scheidung ab, so muss sich die Unterhaltsbemessung schnell von der Lebenswirklichkeit entfernen.

Diese Annahme bestätigen beispielhaft einige Entscheidungen aus der ersten Zeit nach der Eherechtsreform 1976, die uns nach heutigem Verständnis schon beinahe kurios erscheinen und das strenge Stichtagsprinzip schon früh ad absurdum geführt haben. Hier seien nur zwei prägnante Beispiele genannt: Die Rechtsprechung berechnete etwa das bedarfsbestimmende Einkommen des Unterhaltspflichtigen auch nach der Scheidung lange Zeit mit dem Splittingvorteil, obwohl der Unterhaltspflichtige auf Grund der ungünstigeren Steuerklasse I längst ein geringeres Nettoeinkommen bezog.[7] Kinder wurden auch dann noch mit ihrem früheren Unterhalt als prägender Verbindlichkeit vom Einkommen des Unterhaltspflichtigen abgezogen, wenn sie längst wirtschaftlich selbstständig waren und eigene Familien gegründet hatten.[8]

Anhand dieser Beispiele musste an sich frühzeitig klar werden, dass das strenge Stichtagsprinzip sich nicht durchhalten lässt. Es war vom Gesetzgeber – der hierauf im Gegensatz zum Scheidungsrecht nur wenige Überlegungen verwendete und auf die Praxis nach dem Ehegesetz 1946 verwies – mit Bedacht auch nur als Grundsatz aufgeführt worden.[9]

Auch nach der Rechtsprechung, wie sie der Eherechtsreform 1976 vorausgegangen war, war das Stichtagsprinzip immer nur als Anhalt, aber nie als ultimative Grenze der Berücksichtigungsfähigkeit gesehen worden.[10] Es wird daher heute kaum mehr infrage gestellt, dass nach der Scheidung auf Seiten des Unterhaltspflichtigen eingetretene Einkommenssenkungen, wenn sie ...

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