Eine Neuerung bringt der Vorschlag im Vergleich mit anderen EU-Verordnungen durch die Einführung von zwei Kategorien der öffentlichen Urkunden oder "authentic instruments". Differenziert wird nach solchen "mit bindender Wirkung" und "ohne bindende Wirkung" (Art. 35). Gemeint sind hiermit wohl behördliche Tätigkeiten mit konstitutiver Wirkung oder ohne dieselbe. Schaut man sich die Rechtsprechung des EuGH zum Verständnis einer "Gerichtsentscheidung" an, wird die Abgrenzung zwischen Gerichtsentscheidungen und diesen beiden Arten der authentic instruments sehr unklar. I.R.d. Brüssel IIa/IIb-VO genügt es für eine Gerichtsentscheidung, wenn es sich um das Ergebnis eines Tätigwerdens einer mitgliedstaatlichen Behörde handle, dem das nationale Recht die Zuständigkeit zur Entscheidung (in Ehesachen) zuweist.[89] Sollte dieser Begriff auf auf die neue Verordnung übernommen werden, bliebe wenig Raum für die übrigen beiden Arten der Urkunden, insbesondere die "mit bindender Wirkung". Wahrscheinlicher ist aber, da die EuErbVO bei vielen Kategorien des Entwurfes als Vorbild diente, dass ein engeres Entscheidungsverständnis wie bei dieser Verordnung anzuwenden sein wird.[90]

Während die erste Art (mit bindender – also wohl konstitutiver Wirkung) wie eine Gerichtsentscheidung anzuerkennen ist (Art. 36), sobald sie vom Ursprungsmitgliedstaat nach bestimmten formalen Vorgaben ausgefertigt und bestätigt wurde, wird bei der zweiten Art der authentic instruments nur die Wirkung (bzw. die nach dem Empfangsstaat vergleichbarste Wirkung) aus dem Ursprungsstaat auf die gesamte EU ausgedehnt. Gedanklich hatte der Gesetzgeber wohl Geburtsurkunden etwa nach deutschem Verständnis vor Augen, welche eine bloße Vermutungswirkung entfalten und nur die Rechtslage wiedergeben. Eine deutsche Geburtsurkunde kann damit im EU-Ausland keine weitergehende Wirkung entfalten als im Inland.

[89] EuGH Senatsverwaltung für Inneres und Sport, ECLI:EU:C:2022:879 = FamRZ 2023, 21, dazu auch Gössl, NJW 2022, 3750, 3751 f.
[90] Dazu EuGH WB, ECLI:EU:C:2019:444 = FamRZ 2019, 1184.

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