Die EU-Kommission setzte 2021 eine Expertengruppe zu "Recognition of Parenthood between Member States" ein, die Regelungsvorschläge für Elternschaftszuordnungen und ihre Anerkennung im grenzüberschreitenden Verhältnis entwickelte.[86] Am 7.12.2022 wurde nach Sichtung dieser Vorschläge ein Gesetzgebungsvorschlag der Kommission veröffentlicht,[87] der aber leider unzählige Fragen aufwirft und daher in dieser Form nicht praktikabel ist. Hier sollen nur einige Eckpunkte und -probleme dargestellt werden: Vereinheitlicht werden sollen das Zuständigkeitsrecht, das Kollisionsrecht, das Verfahren zur Anerkennung von Gerichtsentscheidungen und verschiedener Arten von "öffentlichen Urkunden" (authentic instruments). Außerdem soll ein Europäisches Elternschaftszertifikat nach dem Vorbild des Europäischen Nachlasszeugnisses eingeführt werden.

[86] Die Autorin ist Mitglied der Expertengruppe, die hier geäußerten Ansichten sind aber die eigenen.
[87] Proposal for a Council Regulation on jurisdiction, applicable law, recognition of decisions and acceptance of authentic instruments in matters of parenthood and on the creation of a European Certificate of Parenthood, COM(2022) 695 final, abrufbar unter https://commission.europa.eu/system/files/2022-12/com_2022_695_1_en_act_part1.pdf.

a) Anwendungsbereich

Bereits der Anwendungsbereich der geplanten Verordnung ist nach aktuellem Stand problematisch. Zum einen werden zwar internationale Adoptionen im Sinne des Haager Adoptionsübereinkommens[88] vom sachlichen Anwendungsbereich ausgenommen (Art. 1 (2) (e)), nicht aber sonstige internationale Adoptionen, d.h. Adoptionen mit internationalen Elementen (ausdrücklich ErwG 21, 26), sodass auch hier das nationale Kollisions- und Verfahrensrecht durch die Verordnung verdrängt würde. Die Kollisionsnormen (dazu c)) sind aber offensichtlich auf Abstammungsfragen, nicht aber Adoptionsfragen zugeschnitten.

Weiterhin ist der Akt territorial beschränkt, da er nur die Anerkennung von Elternschaften innerhalb der EU regeln möchte. Hier liegt aber ein dogmatisches Grundproblem des Vorschlags verborgen: Anwendbar ist er nur auf Elternschaften, die in einem Mitgliedstaat "etabliert" wurden – soweit die Elternzuordnung aber nicht per Gerichtsentscheidung etabliert ist, entsteht sie regelmäßig von Gesetzes wegen, etwa durch Geburt und Ehe mit der Geburtsperson (s.o., I.). Unklar bleibt, wie in diesem Fall, der den Großteil aller Elternschaften weltweit betrifft, eine geografische Verortung stattfinden soll. Der Ort der Geburt? Der Ort der (ersten?) Geburtsregistrierung? Der gewöhnliche Aufenthalt der Geburtsperson? Das Heimatrecht aller Personen, die von einer Rechtsordnung als Eltern angesehen werden? Jeder Ort, an dem eine Rechtsordnung Rechtsfolgen an den Geburtsvorgang knüpft? Solange diese Frage nicht beantwortet ist, lässt die Verordnung sich nicht sinnvoll verwenden, da der Gegenstand, die anzuerkennenden Elternschaften, nicht klar festgelegt ist.

[88] Übereinkommen vom 29.5.1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption.

b) Zuständigkeitsregime und das Problem der widersprechenden Entscheidungen

Der Vorschlag sieht ein äußerst großzügiges Zuständigkeitsregime vor, bei dem praktisch jeder persönliche Anknüpfungspunkt einer der beteiligten Personen eine Zuständigkeit etablieren kann (Art. 6–8). Darüber hinaus wird eine Notzuständigkeit für alle weiteren, schwer vorstellbaren Fälle eröffnet (Art. 9). Dieser weite Zuständigkeitskatalog ist schon bereits deswegen problematisch, da er weite Möglichkeiten zum forum shopping ermöglicht. Die Problematik wird darüber hinaus noch verschärft dadurch, dass sowohl die Etablierung der Elternschaft (ggf. auch durch Adoption, s.o. a)) und die Beseitigung durch Anfechtung hierunter fallen.

Weiterhin existiert zwar eine lis pendens-Regelung ähnlich wie in anderen EU-Rechtsakten (Art. 14), aber keine zur res iudicata. Im Gegenteil soll die Anerkennung einer Entscheidung versagt werden (Art. 31), wenn sie in Widerspruch zu einer später ergangenen Entscheidung steht (Abs. 1 lit. d und e). Diese Norm in Kombination mit dem weiten Zuständigkeitssystem lädt also dazu ein, zu warten, bis eine Entscheidung ergangen ist und im Anschluss, wenn der Streit nicht mehr anhängig ist, eine andere Entscheidung in einem anderen Gerichtsstaat einzuholen, welche dann der ersten Entscheidung vorgeht. Dies kann von dem Vorschlag nicht in dieser umfassenden Form gewollt worden sein. Es ist anzunehmen, dass der Vorschlaggeber den Fall vor Augen hatte, dass z.B. eine zunächst etablierte Vaterschaft später durch Anfechtung oder eine Elternschaft durch eine später ergangene Adoptionsentscheidung aufgehoben wird. Hier wäre eine Klarstellung notwendig, dass kein wie oben beschriebenes aufeinanderfolgendes forum shopping angestoßen werden soll. Auch wäre es sinnvoll, den Zuständigkeitskatalog auf wenige fora zurückzuschneiden, um allgemein die Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu erhöhen.

c) Kollisionsnormen

Im Einklang mit anderen kollisionsrechtlichen Rechtsakten haben die Kollisionsnormen universelle Gel...

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