Problematisch ist hier zunächst der erste Anknüpfungspunkt, der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes bei Geburt. Es handelt sich bei diesem Anknüpfungspunkt um einen faktischen Anknüpfungspunkt, der danach zu bestimmen ist, wo sich der tatsächliche Lebensmittelpunkt des Kindes befindet, d.h. an welchem Ort ein gewisses Maß an Integration stattgefunden hat.[72] Dies ist bei einem neugeborenen Kind problematisch, da dieses Mindestmaß an ntegration eine gewisse Dauer voraussetzt, die gerade fehlt. Der BGH nahm daher an, dass der Geburtsort jedenfalls dann irrelevant für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes sei, wenn das Kind kurz nach Geburt in ein anderes Land verbracht wurde und sich alle Beteiligten, d.h. Leihmutter und Wunscheltern, einig waren, dass das Kind in diesem zweiten Land leben sollte. Das Gericht nahm an, dass es in diesem Fall an einem gewöhnlichen Aufenthalt am Geburtsort fehle und ein eigener gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes erst ab ca. sechs Monaten begründet werden könne. Vorher sei primär auf die Intention der für das Kind verantwortlichen Personen abzustellen, wobei es im vorliegenden Fall offen bleiben konnte, wer genau dies sei, da sich alle (Leihmutter und Wunscheltern) einig waren, dass das Kind in Deutschland leben sollte.[73]

In Fällen der Leihmutterschaft wird dies voraussichtlich dazu führen, dass deutsche Wunscheltern, die es sich leisten können, zukünftig mit dem Kind sechs Monate im Geburtsstaat bleiben werden, um einen gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes dort zu begründen, mit dem typischerweise die Elternschaft der Wunscheltern einhergeht. Kehren sie anschließend mit dem Kind nach Deutschland zurück, kommt es zu einem Statutenwechsel, da sich der neue gewöhnliche Aufenthalt des Kindes dann in Deutschland befindet, also deutsches Recht anwendbar ist. Nach der h.M. besteht das unter dem ersten Statut erworbene Recht, also die Elternstellung der Wunscheltern, fort.[74] Ein Widerspruch zwischen den beiden nun sukzessive anwendbaren Rechtsordnungen muss wohl dadurch gelöst werden, dass das erste Statut das zweite überschreibt, die Wunscheltern also Eltern bleiben. Der BGH hat sich Anfang 2022 dieser Meinung vorsichtig angeschlossen.[75]

[72] Ausf. zum gewöhnlichen Aufenthalt Gössl, IPRax 2022, 489, 490 ff.
[73] BGH StAZ 2019, 173.
[74] Z.B. MüKo-BGB/Helms, 8. Aufl., 2020, Art. 19, Rn 31 m.w.N.; Hösel, Grenzüberschreitende Leihmutterschaft als Herausforderung im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 2018, 66 ff.
[75] BGH FamRZ 2022, 624.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge