Ein weiterer problematischer Punkt ist das Vertrauen in die freie Rollenverteilung bei bestehender Ehe. Im Urteil vom 18.11.2009 geht der BGH[59] (insofern nicht anders als früher) im Rahmen der Unterhaltsbemessung davon aus, dass der Unterhaltsbedarf des neuen Ehepartners so zu berechnen ist, wie er sich im Fall der hypothetischen Scheidung berechnen würde. Nach dieser Entscheidung müssen allerdings bei diesem – also dem neuen – Ehepartner elternbezogene Gründe, die theoretisch zu einer Verlängerung des Betreuungsunterhalts führen würden, außer Betracht bleiben und ihm wird ein fiktives Einkommen angerechnet, auch wenn die noch verheirateten Ehepartner sich darauf verständigt haben, dass das gemeinsame Kind länger als nach § 1570 BGB vorgesehen von der Mutter betreut und nicht in eine Fremdbetreuung gegeben wird. Daraus folgt, dass die von den Ehepartnern gewählte Rollenverteilung im Rahmen der vom BGH bevorzugten Drittelmethode[60] zur "Ergebniskorrektur" auf ein Internum der Ehe reduziert wird.

Vor der Reform 2007 wusste die zweite Ehefrau wenigstens, dass die "Hypothek" der Unterhaltspflicht des Ehemanns gegenüber seiner ersten Frau derart zur Belastung werden kann, dass ihr nur der Weg in die eigene Erwerbstätigkeit bleibt.[61] Damit musste sie nach dem damaligen Gesetz rechnen. Mit der Reform ist der Vorrang des Geschiedenenunterhalts weggefallen, die zweite Ehefrau schien, jedenfalls nach der Intention des Gesetzgebers, ihre Rolle in der Ehe frei wählen zu können, da § 1356 BGB (i.d.F. des 1. EheRG) die Rollenwahl der autonomen Entscheidung der Ehepartner überantwortet.[62] Dem schob der BGH in dem erwähnten Urteil vom 18.11.2009 einen Riegel vor. Die zweite Ehefrau muss demnach konstatieren, dass sie die Option einer "Hausfrauenehe" faktisch doch nicht hat, wenn aufgrund der Zurechnung fiktiver Einkünfte die dem Unterhalt der Zweitfamilie zur Verfügung stehenden Mittel geschmälert werden.

[61] Reichen in der zweiten Ehe die vorhandenen Mittel nicht aus, müsse deshalb in dieser Ehe gegebenenfalls auch auf Kinder verzichtet werden – so die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum 1. EheRG vom 1.6.1973, BT-Drucks 7/650, S. 143 (im Zusammenhang mit dem Rang).
[62] Ausdrücklich auch die Begründung zu dem Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts, BT-Drucks 16/1830, S. 14. Unterhaltsrechtlich kann die Rollenwahl in einer nachfolgenden Ehe allerdings Beschränkungen unterworfen sein, wie sich aus der sog. Hausmann-Rechtsprechung zum Kindesunterhalt ergibt (vgl. etwa BGH FamRZ 1996, 796; FamRZ 2001, 1827), die allerdings auf die hier infrage stehende Entscheidung nicht übertragbar ist, da die Einschränkung den Unterhaltspflichtigen betrifft (vgl. dazu Brudermüller, FF 2010, 89, 98).

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