Das Unterhaltsrecht regelt einen wichtigen Aspekt familiärer Verantwortung.[2] Während in der intakten Ehe die Ehepartner in der konkreten Verteilung aller finanziellen Ressourcen frei und ungebunden sind, bestimmt das Unterhaltsrecht ab dem Zeitpunkt des Getrenntlebens und für die Zeit nach der Scheidung den Umfang des finanziellen Ausgleichs unter Ehegatten. Die mit der Eheschließung – grundsätzlich lebenslang[3] – verbindlich übernommenen gegenseitigen Einstandspflichten[4] setzen sich in gewissem Umfang nach der Scheidung fort. Welches Maß an "Solidarität" hierbei jeweils erwartet oder auch rechtlich eingefordert werden kann, ist eine in der Politik wie in der Gesellschaft eminent umstrittene Frage.

Ausgangspunkt der Überlegungen des Gesetzgebers zur Reform des Unterhaltsrechts war, dass das Unterhaltsrecht kein bestimmtes Ehebild vorgibt.[5] Die Ehepartner sind in der Ausgestaltung der Ehe und der Wahl der Rollenverteilung frei.[6] Aus Art. 6 GG, der den besonderen Schutz von Ehe und Familie garantiert, ergibt sich nach der Rechtsprechung des BVerfG zwar eine fortwirkende nacheheliche Solidarität,[7] die ihren Ausdruck in den Unterhaltstatbeständen des Bürgerlichen Gesetzbuchs findet; das Grundgesetz gewährt aber keineswegs eine uneingeschränkte Solidarität, sondern belässt dem Gesetzgeber insoweit einen Gestaltungsspielraum,[8] innerhalb dessen er gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung tragen kann und gegebenenfalls auch muss. Mit dem UÄndG vom 21. Dezember 2007[9] hat der Gesetzgeber auf die gewandelten Familien- und Beziehungsstrukturen reagiert. Sein Ziel war es nicht nur vor dem Hintergrund der veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, sondern auch im Hinblick auf die Rechtsentwicklung in den europäischen Nachbarstaaten zu versuchen, den notwendigen Ausgleich für ehebedingte Nachteile und den Grundsatz der Eigenverantwortung nach der Scheidung in ein zeitgemäßes, dem Einzelfall gerecht werdendes Verhältnis zu setzen.

Damit stellt sich die Frage, ob die jüngste Reform des Unterhaltsrechts dazu beiträgt, dieses Ziel aus rechtsethischer Sicht zufrieden stellend zu erreichen, und welche Voraussetzungen hierzu im Spannungsfeld von Eigenverantwortung und "Solidarität" erforderlich sind. Das lässt sich besonders an den Regelungen zum Ehegattenunterhalt verifizieren. Die kinderbezogene Versorgung und damit zusammenhängende Fragen lasse ich im Folgenden ausgeklammert, denn dieses Thema hat besondere Aspekte, die einer eigenen Betrachtung bedürften.[10]

Dass der Gesetzgeber die bestehenden nachehelichen Unterhaltstatbestände der §§ 1571 ff. BGB im Rahmen der Reform nicht eingeschränkt hat, suggeriert vordergründig, dass der nacheheliche Unterhalt nach wie vor nahezu das gesamte Lebensrisiko des Ehepartners abgedeckt, der bis zur Scheidung seinen Unterhalt nicht aus eigener Kraft erwirtschaftet hat. Indem aber das reformierte Unterhaltsrecht die Gewährung von nachehelichen Unterhaltsansprüche unter weiterer Einschränkung der Lebensstandardgarantie deutlich stärker als zuvor auf die Kompensation ehebedingter Nachteile zurückführt, erlangen diese Ansprüche einen neuen Stellenwert. Der Topos der nachehelichen Solidarität fungiert dabei in besonderer Weise als Einschränkung der Obliegenheit zur wirtschaftlichen Eigenständigkeit des Einzelnen nach der Ehe. Was ist das Besondere daran?

Die nacheheliche Solidarität ist zur Begründung von Unterhalt keineswegs völlig ungeeignet, auch wenn diese Ansicht durchaus verbreitet ist.[11] Ich meine aber, dass das Pendant zum rechtsbegründenden Freiheitsbegriff nicht allein der Gedanke der Eigenverantwortung ist, sondern ebenso der Gedanke der Solidarität, freilich in einem reflektierten Sinn. Wird das Prinzip der Solidarität auf den Grundsatz der nachehelichen Solidarität einfach nur reduziert, entsteht fälschlicherweise der Eindruck, Solidarität sei erzwungene oder zwangsorientierte Mitmenschlichkeit, die das Prinzip der Eigenverantwortung schwächt und damit in bedenklicher Weise in die Freiheitssphäre des Individuums eingreift. Ich setze bei meinen Überlegungen anders an und möchte verdeutlichen, dass und inwiefern der Solidaritätsgedanke nicht nur die Eigenverantwortung nach der Ehe, sondern bereits in der Ehe begründet und damit zugleich den Weg zu einem neuen Verständnis nachehelicher Solidarität ebnet. Statt die Forderung aufzustellen, auf den Gedanken der Solidarität im Zusammenhang der Unterhaltsbegründung und -gestaltung zu verzichten, sollte vielmehr der Grundsatz der nachehelichen "Solidarität" in seinem Verhältnis zum Gedanken der Eigenverantwortung im Licht des Solidaritätsbegriffs neu ausgelegt und überdacht werden.

Zunächst ist dazu die grundsätzliche Frage zu klären, ob und inwiefern der Grundsatz der nachehelichen Solidarität überhaupt als ein Rechtsprinzip begründet werden kann. Dies setzt wiederum voraus, sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob und inwiefern Solidarität als Rechtspflicht, die eingeklagt oder erzwungen werden kann, zu legitimieren is...

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