Die inhaltliche Ausgestaltung der gerichtsgebundenen Begutachtung mit familienrechtlichen Fragestellungen ist nach wie vor nicht nur unter Sachverständigen umstritten.

Bemerkenswerterweise blieben die rechtlichen Vorgaben zur Ausübung der Sachverständigentätigkeit in Familiensachen trotz aller Reformbestrebungen im Kindschafts- und Familienrecht und auch nach Inkrafttreten der Kindschaftsrechtsreform am 1.7.1998 in den einschlägigen Vorschriften der Zivilprozessordnung gem. §§ 402 ff. ZPO unberührt.

Auch im Rahmen zurückliegender Reformen oder der anstehenden FGG-Reform wurden bisher die einschlägigen ZPO-Vorschriften, die Sachverständigentätigkeit in der Familiengerichtsbarkeit betreffend, nicht geändert.

Nach wie vor betont eine vermutlich eher an der ZPO orientierte Strömung in dieser Diskussion, dass (auch) eine familienrechtlich forensisch-psychologische Begutachtung lediglich eine Entscheidungshilfe für das Gericht darstellt und in erster Linie der Erfassung eines Istzustandes dient, also die sog. Statusdiagnostik beinhaltet.[8]

Diesem Wissenschaftsverständnis zufolge wird die Tatsache der Begutachtung

  1. als diagnostischer Erkenntnisprozess und
  2. als Intervention angesehen, wobei die entsprechende Intervention nicht etwa ein beratungsähnlicher Vorgang ist, sondern der Prozess der Begutachtung selbst.

Weitergehende oder andere Interventionen durch den Sachverständigen vor Abgabe des Gutachtens,

  • etwa gemeinsame Gespräche mit den Eltern oder Pflegeeltern und anderen Personen unter Zuhilfenahme beraterischer, therapeutischer oder mediativer Elemente (nochmals: ausdrücklich keine Mediation, psychologische Beratung oder gar Psychotherapie),
  • abschließende, koordinierende Gespräche im Beisein der Sorgerechtsinhaber oder der Umgangsberechtigten und
  • soweit möglich im Beisein der Kinder Alternativen in der Sorgerechtsausübung oder Umgangsübung anregen und
  • in der Praxis erproben oder
  • die Anbahnung, Durchführung und Stabilisierung von Umgangskontakten, werden nicht thematisiert oder als zu weitgehend abgelehnt.

Vertreter einer interventionsorientierten Begutachtung begreifen die forensisch-diagnostische Begutachtung in Familiensachen dagegen eher als einen modifikationsorientierten Prozess,[9] der einerseits einen vorangeschalteten diagnostischen Erkenntnisprozess beinhaltet, der aber andererseits ebenso der Konfliktminderung und Einstellungsänderung dient und damit in einem besonders herausragenden Maße eine anstehende richterliche Entscheidung optimiert.

Die zuletzt genannte Richtung scheint mittlerweile eine der Statusdiagnostik offenkundig überlegene Art der forensischen Begutachtung in Familiensachen zu sein, da sie neben den üblichen Standards der klassischen Diagnostik (z.B. Beschreibung, Klassifikation, Erklärung, Prognose und gegebenenfalls Evaluation) eine starke Orientierung und Verbindung zur konfliktmindernden bzw. konfliktlösenden Intervention beinhaltet (im Übrigen wird eine derartige modifikationsorientierte Diagnostik von den meisten Familiengerichten der 1. Instanz trotz fehlender entsprechender Regelungen in der ZPO im Rahmen des Vorgehens des Sachverständigen in Familiensachen erwartet).

Die traditionelle Psychodiagnostik der siebziger Jahre in der Familiengerichtsbarkeit ist als überholt anzusehen, die damals nach vorherrschender Meinung vordringlich die Aufgabe hatte, bestimmte Fragen punktuell zu beantworten, mit der Folge, dass Diagnose und Intervention weitgehend beziehungslos nebeneinander standen.

Vielmehr wird heute Diagnostik und Intervention eng miteinander verzahnt, als Einheit bzw. als geschlossene Handlungsfigur begriffen. Nach diesem Ansatz wird die Orientierung an der statistischen Norm einer standardisierten Größe (z.B. Normpopulation) abgelöst durch eine Orientierung an einem zu lösenden Problem.

Die Qualität des diagnostischen Erkenntnisprozesses und damit der Diagnose ergibt sich somit aus der Wirksamkeit (i.S.d. Qualität) einer darauf aufbauenden Interventionsstrategie.[10]

Auch innerhalb der wissenschaftlichen Diskussion und der scientific community scheint sich mittlerweile eine mehrheitsfähige Übereinstimmung dahin abzuzeichnen, dass der psychologische Gutachtenprozess in Familiensachen sowohl einen diagnostischen Erkenntnisprozess umfasst mit den üblichen Interviews (Gespräche, Anamnesen, Explorationen), Verhaltensbeobachtungen und gegebenenfalls testpsychologischen Untersuchungen als auch eine aus dem diagnostischen Erkenntnisprozess entwickelte zielgerichtete, lösungsorientierte, am Wohl des Kindes orientierte Intervention.

Diese sich schon seit längerem abzeichnende Entwicklung der forensischen Diagnostik und Intervention in Familiensachen, vor allem seit den großen Familienrechtsreformen in den späten siebziger Jahren, steht heute mehr denn je mit den Intentionen der am 1.7.1998 in Kraft getretenen Kindschaftsrechtsreform im Einklang, in der dezidierte außergerichtliche Modelle auf der Grundlage von Beratungs- und Mediationsmodellen oder der von der Richterschaft vorzunehmenden Ve...

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