Der Sachverhalt, der sich hinter dem durchaus sperrigen, etwas geschraubt wirkenden Leitsatz des EuGH verbirgt, ist zwar einfach zu erfassen und durchaus überschaubar gelagert, birgt aufgrund der "Alltäglichkeit" entsprechender Konstellationen aber ganz erheblichen "Sprengstoff" für die anwaltliche Beratung und Vertretung im internationalen Unterhaltsrecht. Ein engagierter "Unterhaltspraktiker" sollte die Entscheidung deshalb gut kennen, zumal sie zu ganz erheblichen, nachhaltigen Änderungen in grenzüberschreitenden Unterhaltsregressfällen führen wird.

1. Um was geht es?

a) Von der Sache her ist der Fall eher einfach gelagert. Es geht um Elternunterhalt. Ein niedersächsischer Landkreis begehrt als Sozialhilfeträger (Art. 64 Abs. 2 EuUnterhVO) von dem in Wien lebenden Antragsgegner aus übergegangenem Recht die Zahlung von laufenden und rückständigem Elternunterhalt für dessen bei Erlass der Entscheidung 72 Jahre alte Mutter, die in einem Alten- und Pflegeheim in Köln lebt und vom Antragsteller laufend Sozialhilfe nach dem SGB XII erhält. Der Landkreis hat den Zahlungsantrag nicht an einem der Wiener Bezirksgerichte als den Gerichten des Ortes, an dem der Antragsgegner sich für gewöhnlich aufhält (Art. 3 lit. a EuUnterhVO), anhängig gemacht, sondern am Familiengericht Köln als dem Gericht des gewöhnlichen Aufenthaltsortes der unterhaltsberechtigten Mutter (Art. 3 lit. b EuUnterhVO).

b) Alles andere als einfach gelagert sind dagegen die rechtlichen Implikationen des Falles: Das angegangene Familiengericht Köln[1] hat die internationale Zuständigkeit der inländischen Familiengerichte noch mit der Begründung verneint, auf die Zuständigkeit der Gerichte am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten nach Art. 3 lit. b EuUnterhVO könne sich nur der Unterhaltsberechtigte persönlich (Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 EuUnterhVO) berufen, nicht aber der Sozialhilfeträger, auf den der Unterhaltsanspruch kraft Gesetzes übergegangen sei.[2] Auf die Beschwerde des antragstellenden Landkreises hat das OLG Köln die Entscheidung aufgehoben und die Sache an das Familiengericht zurückverwiesen.[3] Die Kölner Richter haben darauf abgestellt, dass die vier, in Art. 3 EuUnterhVO aufgezählten Gerichtsstände untereinander durch ein "oder" verbunden seien mit der Folge, dass zwischen ihnen Gleichrang und damit Alternativität bestünde; eine Privilegierung des Beklagten- (Antragsgegner-) gerichtsstandes sei nicht erforderlich, sondern zwischen den Gerichtsständen könne grundsätzlich frei gewählt werden. Deshalb könne eine öffentliche Einrichtung, auf die der Unterhaltsanspruch im Wege der Legalzession übergegangen sei, den Regressanspruch auch vor den Gerichten des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Unterhaltsberechtigten geltend machen.[4] Gegen diese Entscheidung hat sich der Antragsgegner mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde gewandt, mit der er eine Wiederherstellung der familiengerichtlichen Entscheidung anstrebte. Der BGH hat in seiner Entscheidung[5] zwar deutlich zu erkennen gegeben, dass er die Auffassung des OLG Köln für zutreffend erachte.[6] Da aber ungeklärt sei, ob Art. 3 lit b EuUnterhVO für den Unterhaltsregress einer öffentlichen Einrichtung neben dem Beklagten- (Antragsgegner-) gerichtsstand einen weiteren Gerichtsstand am gewöhnlichen Aufenthalt des ursprünglich Unterhaltsberechtigten bereitstelle, wurde das Verfahren ausgesetzt und der EuGH um Vorabentscheidung dieser Frage ersucht (Art. 267 AEUV).

2. Die Entscheidung des EuGH

a) Der EuGH hat die Auffassung des BGH bestätigt und die vorgelegte Frage dahin beantwortet, dass eine öffentliche Einrichtung den auf sie übergegangenen zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch, den sie im Regresswege gegen den Unterhaltsschuldner verfolgt, auch am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsberechtigten geltend machen könne.

b) Das eigentliche Problem war dabei, dass der EuGH sich von seiner früheren Rechtsprechung zu Art. 5 Nr. 2 des Brüsseler Übereinkommens vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) – quasi einem der "Vorläufer" der EU-Unterhaltsverordnung – absetzen musste. In der – im Übrigen ebenfalls auf Vorlage des BGH[7] ergangenen – Sache "Blijdenstein"[8] haben die europäischen Richter seinerzeit noch entschieden, dass sich eine öffentliche Einrichtung wie ein BAföG-Amt, auf das die Unterhaltsforderung des Berechtigten durch Legalzession übergegangen war, nicht auf den Gerichtsstand am Wohnort des Unterhaltsberechtigten berufen könne, sondern am allgemeinen Gerichtsstand des Wohnorts des Schuldners klagen müsse, da eine öffentliche Einrichtung – anders als der Unterhaltsberechtigte selbst – dem Unterhaltspflichtigen gegenüber weder unterlegen sei noch sich in einer schwierigen finanziellen Lage befände. Daher sei es nicht gerechtfertigt, dem Unterhaltsschuldner den Schutz, den ihm der Wohnortgerichtsstand (nach Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ) vermittele, zu verwehren.[9]

c) Zur Begründung, weshalb ...

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