GG Art. 103 Abs. 1 6 Abs. 2;HKÜ Art. 12 Abs. 1 13 Abs. 1 Buchst. b;BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2 § 32 Abs. 1 § 92

Leitsatz

1. Zu den spezifischen Begründungsanforderungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gehört die Darlegung, dass der Antrag in der zugehörigen Hauptsache weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist (vgl. BVerfG, Beschl. der 1. Kammer des Ersten Senats v. 8.8.2019 – 1 BvQ 63/19, Rn 3; Beschl. der 3. Kammer des Ersten Senats v. 22.11.2018 – 1 BvQ 81/18, Rn 2).

2. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig, wenn die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht dargelegt ist, im konkreten Fall weder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ersichtlich noch eine Verletzung des Elternrechts – Rückführungshindernis wegen der Dauer des Aufenthalts in Deutschland oder Gefährdung des Kindes im Falle der Rückführung – dargetan ist.

(red. LS)

BVerfG, Beschl. der 1. Kammer des Ersten Senats v. 20.11.2019 – 1 BvQ 85/19 (OLG Jena, AG Jena)

Aus den Gründen

Gründe: [1] Der Antragsteller begehrt die Außervollzugsetzung familiengerichtlicher Entscheidungen, mit denen er nach § 12 HKÜ zur Rückführung seiner Tochter in die Schweiz verpflichtet worden ist. Er macht geltend, eine einstweilige Anordnung sei erforderlich, weil die Gerichte weder den vom ihm vorgebrachten Verdacht des sexuellen Missbrauchs seiner Tochter durch den Großvater mütterlicherseits noch den Aufenthalt des Kindes in Deutschland seit einem dreiviertel Jahr berücksichtigt hätten.

[2] Der Antrag ist abzulehnen, weil er unzulässig ist.

[3] 1. Ein zulässiger Antrag nach § 32 Abs. 1 BVerfGG erfordert eine substantiierte Darlegung der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfG, Beschl. der 1. Kammer des Ersten Senats v. 8.8.2019 – 1 BvQ 63/19, Rn 2; Beschl. der 3. Kammer des Ersten Senats v. 22.11.2018 – 1 BvQ 81/18, Rn 2 m.w.N.). Dabei richten sich die Anforderungen eines isolierten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach den spezifischen Voraussetzungen für eine solche Anordnung; sie sind mit den Begründungsanforderungen im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht identisch (vgl. BVerfG, Beschl. der 1. Kammer des Ersten Senats v. 8.8.2019 – 1 BvQ 63/19 –, Rn 2 m.w.N.).

[4] Zu den spezifischen Begründungsanforderungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gehört die Darlegung, dass der Antrag in der zugehörigen Hauptsache weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist (vgl. BVerfG, Beschl. der 1. Kammer des Ersten Senats v. 8.8.2019 – 1 BvQ 63/19, Rn 3; Beschl. der 3. Kammer des Ersten Senats v. 22.11.2018 – 1 BvQ 81/18, Rn 2). Für den Erfolg eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sind die Erfolgsaussichten einer noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde insoweit relevant, als dem Eilrechtsschutzbegehren nach § 32 Abs. 1 BVerfGG nicht entsprochen werden kann, wenn die Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 140, 225, 226; st.Rspr). Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann darum lediglich Erfolg haben, wenn er so begründet ist, dass das Bundesverfassungsgericht auf der Grundlage der Antragsbegründung wenigstens summarisch verantwortbar beurteilen kann, dass eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist (vgl. BVerfG, Beschl. der 1. Kammer des Ersten Senats v. 8.8.2019 – 1 BvQ 63/19, Rn 2; Beschl. der 2. Kammer des Ersten Senats v. 8.5.2017 – 1 BvQ 19/17, Rn 8).

[5] 2. Diesen Voraussetzungen genügt der Antrag nicht.

[6] a) Der Antragsteller benennt nicht ausdrücklich, welche Grundrechtsverletzungen er zu rügen beabsichtigt. Die Antragsschrift kann allerdings dahingehend ausgelegt werden, dass der Antragsteller anstrebt, in der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) durch Übergehen seines Vortrags zum sexuellen Missbrauch sowie zum aktuellen Aufenthalt und der Integration des Kindes in Deutschland zu rügen. Da er zudem vorbringt, durch die Rückführung seiner Tochter in die Schweiz werde eine Kindeswohlgefährdung eintreten, lässt sich auch annehmen, er wolle mit der noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde eine Verletzung seines Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG geltend machen.

[7] b) Bei Zugrundelegung des Vortrags in der Antragsschrift ist jedoch bereits die Möglichkeit der Verletzung dieser Grundrechte beziehungsweise grundrechtsgleichen Rechte nicht ersichtlich. Sie liegt auch sonst nicht auf der Hand.

[8] aa) Besondere Umstände des Einzelfalls, die deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 27, 248, 251 f.; 47, 182, 187 f.), die für die Annahme einer Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt werden müssten, sind nicht ersichtlich.

[9] (1) Mit der Frage des sexuellen Missbrauchs setzen sich Amts- und Oberlandesger...

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