BGB § 1573 § 1577 § 1578 § 1578 b

Leitsatz

a) Ein umfassender Anspruch auf Aufstockungsunterhalt setzt voraus, dass der Unterhaltsberechtigte eine vollschichtige angemessene Erwerbstätigkeit ausübt oder ihn eine entsprechende Obliegenheit trifft. Vermag der Unterhaltsberechtigte eine solche Tätigkeit nicht zu erlangen, ergibt sich der Anspruch zum Teil aus § 1573 Abs. 1 BGB – Erwerbslosigkeitsunterhalt (im Anschluss an Senatsurt. v. 16.12.1987 – IVb ZR 102/86, FamRZ 1988, 265).

b) Bei einer Bedarfsermittlung nach den konkreten Verhältnissen ist eigenes Erwerbseinkommen des Unterhaltsberechtigten zur Ermittlung der Bedürftigkeit nicht gekürzt um einen Erwerbsbonus, sondern in vollem Umfang auf den Bedarf anzurechnen.

c) Der angemessene Lebensbedarf gemäß § 1578b Abs. 1 BGB bestimmt sich nach der Lebensstellung, die der Unterhaltsberechtigte ohne die Ehe und damit verbundene Erwerbsnachteile erlangt hätte (im Anschluss an Senatsurt. v. 20.10.2010 – XII ZR 53/09, zur Veröffentlichung bestimmt und v. 4.8.2010 – XII ZR 7/09, FamRZ 2010, 1633). Die – besseren – Verhältnisse des anderen Ehegatten sind für den sich nach der eigenen Lebensstellung des Unterhaltsberechtigten bemessenden Bedarf ohne Bedeutung.

d) Zur Befristung des Unterhalts nach § 1573 Abs. 1, 2 BGB bei ehebedingten Nachteilen des Unterhaltsberechtigten.

BGH, Versäumnisurt. v. 10.11.2010 – XII ZR 197/08 (OLG Hamm, AG Hagen)

1 Anm. d. Redaktion:

Die Entscheidung ist abgedruckt in FamRZ 2011, 192 m. Anm. Schürmann, S. 195.

2 Anmerkung

Ausgangslage

Nach dem bis zum 31.12.2007 geltenden Unterhaltsrecht konnten lediglich die sich aus § 1573 Abs. 1 bis Abs. 4 BGB ergebenden Unterhaltsansprüche, nicht aber solche nach den §§ 1570 bis 1572 BGB, der Dauer nach begrenzt werden. Nach § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB konnte jedoch bei allen Unterhaltsansprüchen die Unterhaltsbemessung nach den ehelichen Lebensverhältnissen zeitlich der Höhe nach begrenzt und danach auf den angemessenen Lebensbedarf herabgesetzt werden. Die Möglichkeit der zeitlichen Begrenzung hat die Praxis bis zum Jahr 2006 kaum genutzt. Erst durch das Urteil des BGH vom 12.4.2006,[1] das die Voraussetzungen für eine Befristung des Aufstockungsunterhalts gemäß § 1573 Abs. 5 BGB (a.F.) definiert hat, ist ein allgemeiner Umdenkungsprozess in Gang gesetzt worden. Nach der Entscheidung des BGH kommt eine zeitliche Befristung des Aufstockungsunterhalts i.d.R. auch bei kurzer Ehedauer nicht in Betracht, wenn die Einkommensdifferenz zwischen Ehegatten auf fortwirkenden ehebedingten Nachteilen zulasten des Unterhaltsberechtigten beruht.

Durch das UÄndG, das sich an dieser Rechtsprechung des BGH orientiert hat, ist ab dem 1. Januar 2008 mit § 1578b BGB eine grundsätzlich für alle Unterhaltstatbestände geltende Billigkeitsregelung eingeführt worden, die eine Herabsetzung und/oder zeitliche Begrenzung von Unterhaltsansprüchen ermöglicht. Diese Begrenzungsvorschrift hat neben der Neuregelung des § 1570 BGB eine zentrale Bedeutung für das Unterhaltsrecht erlangt. Seit ihrem Inkrafttreten gibt es eine Vielzahl[2] von Urteilen und ab dem 1.9.2009 Beschlüssen des BGH und der Oberlandesgerichte, die sich mit allen denkbaren Konstellationen befassen. Das Urteil des BGH vom 10.11.2010 enthält weitere Aspekte für die Abwägung hinsichtlich einer Begrenzung eines Unterhaltsanspruchs aus § 1573 Abs. 1 und aus § 1573 Abs. 2 BGB.

Inhalt der Entscheidung

Die Parteien heirateten 1982. Aus der Ehe sind 1985 und 1987 zwei Kinder hervorgegangen. Die Eheleute trennten sich im August 2003. Das auf den am 16. Juni 2004 zugestellten Scheidungsantrag im vorliegenden Verfahren ergangene Verbundurteil ist hinsichtlich des Scheidungsausspruchs seit dem 23. August 2008 rechtskräftig.

Die Parteien streiten um nachehelichen Unterhalt. Die Antragsgegnerin hat diesen ausgehend von den Ausgaben während des Zusammenlebens nach ihrem konkreten Bedarf berechnet. Der Antragsteller, der Laborarzt ist, hat seine Leistungsfähigkeit für den geltend gemachten Unterhalt nicht infrage gestellt, jedoch die Höhe des Bedarfs bestritten und eine Begrenzung des Unterhalts geltend gemacht. Die Antragsgegnerin ist als ausgebildete medizinisch-technische Assistentin (MTA) in der Praxis des Antragstellers angestellt, ohne tatsächlich dort zu arbeiten, und bezieht ein Nettoeinkommen von etwa 1.000 EUR monatlich. Sie bewohnt die ehemalige Ehewohnung. Seinen Miteigentumsanteil an dem Einfamilienhausgrundstück hat ihr der Antragsteller nach der Trennung übertragen.

Das Amtsgericht hat den Antragsteller zu monatlichem Elementarunterhalt in Höhe von rund 3.130 EUR und Altersvorsorgeunterhalt von rund 1.030 EUR verurteilt und den Unterhalt bis zum 31. August 2013 befristet. Das Berufungsgericht hat auf die beiderseitigen Rechtsmittel das Urteil zum Versorgungsausgleich und zum Unterhalt abgeändert. Das Oberlandesgericht hat den Unterhalt gestaffelt festgelegt. Es hat den Antragsteller zur Zahlung von monatlich 2.283 EUR Elementarunterhalt und 819 EUR Altersvorsorgeunterhalt bis Ende 2008 verurteilt, den Unterhalt für die Fo...

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