Wenn der BGH von der prägenden Wirkung anzurechnender Einkünfte spricht, werden Bedürftigkeit und Bedarf – unzulässigerweise[42] – vermischt.[43] § 1577 BGB betrifft die Bedürftigkeit, § 1578 BGB den Bedarf. Über die Frage einer Prägung ist allein nach § 1578 BGB zu entscheiden, während § 1577 Abs. 2 BGB nur die Frage einer Anrechnung des überobligatorisch erzielten Einkommens betrifft.[44]
Einkünfte prägen dann, wenn sie in der Ehe "angelegt" sind. Notwendig ist hier das Vorliegen der entsprechenden Umstände für eine gewisse Dauer;[45] erforderlich ist die Gewähr einer gewissen Stetigkeit und Nachhaltigkeit.[46] Vorübergehende und kurzfristige Einkommensänderungen sind demgegenüber nicht zu berücksichtigen.[47]
In Bezug auf zukünftige Entwicklungen, konkret für Veränderungen nach Rechtskraft der Scheidung, gilt folgendes: Geht es um Verbesserungen, werden diese bei der Bestimmung des Bedarfs regelmäßig berücksichtigt, sofern es sich um normale und absehbare Weiterentwicklungen aus derselben Einkommensquelle handelt.[48]
Diesen späteren Veränderungen muss eine Entwicklung zugrunde liegen, die aus der Sicht zum Zeitpunkt der Scheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten war und die ehelichen Lebensverhältnisse bereits geprägt hat.[49] Die Einkommenssteigerungen müssen noch nicht eingetreten, aber in einer Form zu erwarten gewesen sein, dass die Ehegatten ihren Lebenszuschnitt vernünftigerweise schon darauf einstellen konnten und auch eingestellt haben.[50] Nicht angelegt sind demgegenüber Einkommenssteigerungen, die auf einer unerwarteten Entwicklung beruhen, z.B. in Form eines sogenannten Karrieresprungs oder auf einer nach Scheidung ausgezahlten, aber bei Scheidung nicht absehbaren Abfindung.[51]
Einkommensverringerungen sind – da absehbar und somit beachtlich – bedarfsbestimmend in Fällen eines nicht vorwerfbaren Einkommensrückgangs nach Scheidung, z.B. bei nicht vorwerfbarer Arbeitslosigkeit,[52] dem Beginn der Regelaltersrente[53] oder im Falle einer Erkrankung.[54] Gleiches gilt für einen hinzunehmenden Wechsel in Altersteilzeit[55] sowie bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, sofern zum Zeitpunkt der Scheidung die Verschuldung schon weit fortgeschritten war.[56] Im Falle einer Vorwerfbarkeit des Einkommensrückgangs sind fiktive Einkünfte zuzurechnen; der Einkommensrückgang ist dann beim Bedarf nicht zu berücksichtigen.[57]
Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?
Jetzt kostenlos 4 Wochen testen
Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen