So wird von manchen lebhaft eine "Schieflage" der Unterhaltstabelle beklagt, die den notwendigen Eigenbedarf der "Trennungseltern" nicht mehr ausreichend berücksichtigen soll.[14] Gefordert wird eine Umstellung der Unterhaltsbemessung. Es soll "familienintern" gerechnet werden. Ausgangspunkt soll nicht mehr der statistisch ermittelte Bedarf eines Kindes sein ("familienexterne Rechengröße"), sondern der Unterhaltsanspruch des Kindes soll sich von vornherein nur an den tatsächlich vorhandenen Mitteln ausrichten, die proportional, als ein bestimmter Prozentsatz der vorhandenen Einkünfte, unter allen Unterhaltsberechtigten verteilt werden sollen.[15]

Der Vorschlag ist nichts anderes als ein "Rückfall in vergangene Zeiten"[16] – er lässt nämlich den längst überholten "Zwickauer Schlüssel" wiederauferstehen: Der "Zwickauer Schlüssel" wurde ursprünglich – bereits vor dem zweiten Weltkrieg – von sächsischen Gerichten entwickelt, um im Rahmen der Lohnpfändung den pfändungsfreien Betrag nach § 850d ZPO zu ermitteln, der dem Vollstreckungsschuldner zu belassen ist, damit dieser die eigenen Unterhaltspflichten bedienen kann. Der Ansatz, den einzelnen Unterhaltsbetrag als feste Quote des vorhandenen Einkommens des Schuldners zu bestimmen, fand alsbald Eingang in das Unterhaltsrecht.[17] Stark vergröbernd sah der "Schlüssel" in etwa eine Dreiteilung des Schuldnereinkommens vor: Ein Drittel entfiel auf die Ehefrau, ein weiteres Drittel war unter allen vorhandenen Kindern zu verteilen und das letzte Einkommensdrittel verblieb dem Schuldner für sich.[18] Eine zeitgenössische Begründung, um die Quotelung nach dem "Zwickauer Schlüssel" zu rechtfertigen, lautete beispielsweise: "Dem Mann müsse grundsätzlich der größere Teil des […] Einkommens verbleiben … ".[19] Das zeigt klar auf, wohin "die Reise gehen" soll: Folgt man diesem Vorschlag, bliebe der Unterhaltsbedarf des Kindes in der Mehrzahl der Fälle voraussichtlich ungedeckt. Dagegen würde der (Bar-) Unterhaltsschuldner leistungsfrei und der andere, betreuende Elternteil müsste im Rahmen seiner Ausfallhaftung[20] für den Kindesunterhalt aufkommen oder das Kind würde auf staatliche Transferleistungen verwiesen.

Davon abgesehen, verstößt die Forderung aber auch gegen geltendes Recht: Im Anschluss an die Kritik – die letztlich zur ersatzlosen Aufgabe des "Zwickauer Schlüssels" geführt hat[21] – hat der Gesetzgeber nach und nach – zuletzt in aller Deutlichkeit mit der Unterhaltsrechtsreform 2008 – den Kindesunterhalt "nach unten" plafoniert und in § 1612a Abs. 1 BGB einen flexiblen Unterhaltsbedarfs-Satz festgelegt,[22] den jeder Unterhaltsschuldner mindestens leisten soll: Der Ansatz, die Untergrenze des zu leistenden Kindesunterhalts an eine objektive, statistisch ermittelte Größe – das sächliche Existenzminimum des minderjährigen Kindes – anzuknüpfen, gilt nicht nur in Deutschland mit dem Gesetzesbefehl in § 1612a Abs. 1 Satz 2 BGB, sondern hat sich auch in den deutschen Nachbarländern, etwa in der Schweiz[23] oder in Österreich,[24] gut bewährt.

[14] Vgl. Interessenverband Unterhalt und Familienrecht – ISUV e.V., ISUV-Report Nr. 173 von Juli 2023 sowie die Pressemitteilung vom 5.10.2023, einsehbar unter https://www.isuv.de/informationen/urteile/urteil/post/detail/News/neues-hoeheres-existenzminimum-festgesetzt-auswirkungen-auf-duesseldorfer-tabelle-lohnsteigerungen/ (zuletzt abgerufen im Dezember 2023).
[15] Vgl. Heger, ISUV-Report Nr. 173 von Juli 2023, 9 f.
[16] So die plakative Formulierung von Spangenberg, FamRZ 2010, 255 (256).
[17] Vgl. etwa LG Stuttgart, Urt. v. 16.7.1958 – 5 S 144/58, NJW 1958, 1730; OLG Schleswig, Urt. v. 13.1.1955 – 3 W 101/54, MDR 1955, 231.
[18] Vgl. ausführlich Bernreuther, Rechtsgewinnung in den Normen des nachehelichen Ehegattenunterhalts (2006), 145 ff. sowie weiter Schürmann, FamRZ 2019, 493 (494); Otto, FamRZ 2012, 837 (838); Köhler in Eyrich/Odersky/Säcker (Hrsg.), Festschrift Kurt Rebmann (1989), 569 (570); Köhler, FamRZ 1990, 922 (924).
[19] Vgl. die Zitate zu der damaligen Rechtsauffassung bei Göppinger, DRiZ 1968, 299 (300).
[20] Vgl. nur Grüneberg/von Pückler, BGB (83. Aufl. 2024), § 1606 Rn 17.
[21] Vgl. Göppinger, DRiZ 1968, 299 (300).
[22] Vgl. zur Herleitung näher Menne, FF 2006, 220 (222 f.); Menne, FamRB 2008, 145 ff. sowie Niepmann/Kerscher, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts (15. Aufl. 2023), Rn 2; Heiß/Born-Kohlenberg, Unterhaltsrecht (63. Aufl. 2023), Kap. 12 Rn 19 und bereits die Forderung von Göppinger (DRiZ 1968, 299 (300)), den unterhaltsrechtlichen Mindestbetrag, der zur Bestreitung des Lebensbedarfs notwendig ist, anhand von statistischen Erhebungen über die Lebenshaltungskosten zu ermitteln.
[23] Vgl. BGer, Urt. v. 11.11.2020 – 5A_311/2019, E. 7.2, BGE 147 III 265 = FamPra.ch 2021, 200 sowie FamKommScheidung/Schweighauser; Aeschlimann, Bähler (4. Aufl. 2022), Art. 285 ZGB Rn 24, 53a; Anh. UB Rn 42 ff. Untergrenze des Kindesbedarfs ist danach das betreibungsrechtliche Existenzminimum des Kindes.
[24] Vgl. Neuhauser in Deix...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge